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Der Mittagsschlaf

Übersetzung der Kurzgeschichte 'Der Mittagsschlaf' von Salwa Na'imi aus dem Band "Das Buch der Geheimnisse" (Kairo, 1994)


Der Mittagsschlaf

von Salwa Na'imi


"Was meinst du zu einem Mittagsschlaf ?" Er fragte es, und ich reagierte wie immer mit einem Lachen. "Ja. Alleine". Enttäuscht wendet er sein Gesicht ab, hebt den Blick zur Decke, wie um bei Engeln und Teufeln um Barmherzigkeit zu bitten. Ich lache immer noch. Wir bleiben an dem belebten Ort, in der Lobby des Hotels, erfrischen uns mit Tee und Kaffee. Sein Wollen springt um mich herum. Macht mich glücklich, und geht mich doch nichts an.

Ich reiche ihm meine Hand und laß ihm Platz auf dem Bett an meiner Seite. Warum habe ich am letzten Tag ja gesagt ? Es kam von alleine heraus. Es wäre möglich gewesen, daß wir uns morgen trennen, und den Geschmack des unterdrückten Verlangens mitnehmen. Warum habe ich am letzten Tag ja gesagt ? Sieben Tage zur Untersuchung der "Arabischen Frau zwischen Unabhängigkeit und Abhängigkeit". Zahlen und Statistiken und Prozente: Die Arbeiterinnen und die ohne Tätigkeit, die Analphabetinnen und die Gebildeten, die Bäuerinnen und die Städterinnen. Fragen und Antworten und große Worte, die Schwindel erregen. Ich notiere die Bemerkungen mit Eifer und er ist an meiner Seite. Da war seine strauchelnde Frage, und da war ein Kopfnicken und ein ja, das heimlich entwich. Er schnappte röchelnd nach Luft, wie um es zurück zu holen: Habe ich recht gehört ? Ich lächle ohne zu antworten. Ein anderes Röcheln steigt und fällt jetzt und überlistet seinen Hals. Er redet arbeitsam und wagt es nicht, sich zu nähern, "Die Frau ist noch immer nicht in der Lage, sich am Entscheidungsprozeß tatsächlich zu beteiligen". Ich streckte ihm meine Hand hin und er kommt zu mir.

Als er es zum ersten Mal sagte, betrachtete ich es als einen Witz. Ich lachte und er lachte mit. Es wurde zu einer Station im Tagesverlauf, an der wir kurz anhielten, verschleierte Worte, parallel zu den klaren Worten des Kongresses, "Die materielle Entwicklung wurde nicht von einer grundlegenden Veränderung bei den gesellschaftlichen Werten in Bezug auf die Frau begleitet. Das Fehlen des Bewußtseins über ihre Lage führte bei der Frau selbst zu einer Art Schizophrenie, die sie dazu veranlaßt, sogar ihren Rechten widersprechende Anschauungen zu übernehmen". Ich bemerkte seine Blicke und mein Körper spannte sich an. Ein Mittagsschlaf ? Ich hatte vieles gehört, aber dies war neu. Das hatte noch kein Mann zu mir gesagt. Noch nicht mal eine Frau. Ich bemerkte seine Blicke und mein Körper spannte sich an. Kann es sein, daß Verlangen ansteckend wirkt ? Im Licht des Nachmittags, das faul hinter die Vorhänge geworfen wird, kann ich seinen nackten schönen Körper sehen, und ein wenig Zufriedenheit auf dem ruhigen Gesicht mit seinen geschlossenen Augen. "Die Vorstellung der Männlichkeit zwingt den Mann in unserer Gesellschaft dazu, die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Erfahrungen zu machen, ja sogar die verbotenen, ohne daß ihm dies vorgeworfen wird. Würde aber eine Frau die selben Dinge tun...". Meine Augen sind offen. Ich sehe ihn und er sieht mich nicht.

Einen Mittagsschlaf gab es auch in "Ein Mann und eine Frau". Als mein Vater damals erfuhr, daß ich losgegangen bin, um mir den Film anzusehen, schrie er meine Mutter an : "Ein junger Mensch, der solche Szenen sieht, wird verdorben..." Bin ich verdorben ? "Der unterdrückte Mann verwandelt sich in seinem Heim zum Unterdrücker". Meine kleine Schwester rannte durch die Straßen von Damaskus und suchte mich vor dem Eingang des Kinos Al-Kindi, bevor mich die Ohrfeigen meines Vater einfangen. Ich fragte provozierend : "Warum denn nicht ? Du hast ihn doch auch gesehen." Freches Mädchen. Seine Stimme schwoll an und der Aschenbecher pfiff an meinen Augen vorbei, bevor er zu Scherben zerfiel, die meine Mutter einsammelte, während sie bei ihren Propheten Zuflucht suchte. "Je mehr die Mutter gehorcht und ohne eigenen Willen ist, desto stärker wird der Wille der Tochter, den entgegengesetzten Weg zu gehen". Es war ein Mittagsschlaf. Der Gedanke kommt mir zum ersten Mal nach all diesen Jahren. Der Mann und die Frau essen in einem Restaurant zu Mittag, dann gehen sie hoch in das Zimmer eines Hotels. Mein Vater, der es sein Leben lang nicht ertrug, einen Film zu sehen, hat den französischen Film sogar mehrfach angesehen, der auch Hauptgesprächsinhalt unserer Stadt war. Die Heldin ist eine Witwe, die seit dem Tod ihres Gatten keinem anderen Mann nahe gekommen war. Ich lächelte insgeheim und dankte Gott, daß ich es nicht so gemacht hatte. Ich höre sein Flüstern, "Ich hätte nie gedacht, daß es eine Frau geben könnte, die so heiß ist !" Er berührt meinen lustentflammten Körper und ich möchte, daß er meinen lustentflammten Körper berührt. Ich weiß, daß ich heiß bin und fein. "Die Frau ist ein eigenständiges Wesen, das jedoch nicht die Fähigkeit hat, ihr Selbst in Richtung Gesellschaft zu überschreiten" Er kommt noch näher und ich schmiege mich an ihn. Wir vereinigen uns, und die Rhythmen unserer Körper sind noch sanft. "Die Arbeit der Frau innerhalb und außerhalb des Heimes führt zu ihrer Erschöpfung". Die Berührung zieht sich hin und der Kuß wird lang.

Seit sieben Tagen ist er an meiner Seite. Wir waren nicht alleine. Es gibt viele Teilnehmer bei der "Geschichte der arabischen Frau, und die Gründe die dazu geführt haben daß ihr die Beteiligung beim kulturellen Schöpfungsprozeß versagt blieb". Vorbeigehende Treffen bei vorbeigehenden Kongressen. Ich bemerkte seine Aufmerksamkeit von Beginn, doch das ging mich nichts an. Ich weiß, daß mein Verlangen nur bei mir beginnt. Warum ist jetzt er, und nicht ein anderer, an meiner Seite in dieser vereinigenden Umarmung ? Die ewige Frage bei jedem Beginn. Der Körper ist es, der beschließt ? "Welcher Art ist die Beziehung zwischen Mann und Frau, und welche Einflüsse wirken bestimmend auf sie ein ?" Vor langer Zeit gab es jemanden, der mir über das Thema der Chemie der Körper und ihrer Resonanzen erzählte. Ich habe mich damals an ihn geschmiegt, während er verblüfft meine Fähigkeit beschrieb, mich einzumischen. Einzumischen in was ? Dein Gott alleine weiß es. Seine Worte blieben in der Falle meines Kopfes gefangen, und ich schmeckte sie in meiner Einsamkeit. "Die Frau verlangt nicht direkt, was sie will, und sie verteidigt auch nicht ihre Überzeugungen, insbesondere wenn dies von ihr verlangt, die Meinungen der anderen zu widerlegen und ihre eigenen intellektuellen Fähigkeiten zu zeigen". Was wird sich denn nun von meinen Fähigkeiten offenbaren, während sich meine praktische Chemie entflammt an diesem Mann, in diesem Bett, in diesem Zimmer, in diesem Hotel, in dieser Stadt, in diesem Land, weit weg von meinem Leben ?

Sie alle tanzten im Saal des Hotels. Dieses Hotel, das in der kommenden Woche einen Kongreß arabischer Innenminister beherbergen wird; und vielleicht diskutieren sie, auch sie, mein Recht auf einen Mittagsschlaf. Der Rhythmus fließt in mein Blut und ich zögerte. "Die arabische Frau unterliegt noch immer gesellschaftlichem Druck / ... / Wir gehen gerade durch eine sensible Zeit des Wechsels hindurch, die der Frau Chancen eröffnet und Verantwortungen auferlegt, für die sie nicht prädestiniert ist, und deshalb befindet sie sich in einem dauernden Zustand der Angst". Der Tanz, eine Chance oder eine Verantwortung ? Ich fürchte mich noch immer vor meinem Körper. Ich trage ihn Last über Last. Ich zeige und ich schaue mir ein ganz kleines bißchen von ihm an, sündhafte Verlockung, und verstecke achtsam den Rest. Ich zögerte und er zog mich mit Nachdruck heran. Wir küßten uns stehend. Ich berühre ihn nicht und er berührt mich nicht. Nur der Rhythmus der Körper verbindet uns. Er nähert sein Gesicht. Ich spüre die Gefahr und lache, entferne mich. Mein Haar schwingt mit meinen Bewegungen und seine Augen verfolgen mich. In irgendeinem Moment faßt er meine Hand : Laß uns raus gehen. Ich löste mich und tanzte weiter, spielte weiter. Die Freundin sagte : "Du bist eine kindische Frau, die nicht an die Enden ihrer Gedanken geht". Was weiß sie von Anfängen und Enden ? Was weiß sie von Morgenstunden und Abenden und Körpern und Geschmäckern und Gerüchen, die sich in meine Pracht ergossen ? Der Rhythmus beider Körper verbindet uns jetzt, aber nicht nur er allein. Und wenn er mir sein Gesicht nähert, beginnen meine Lippen sich feucht zu runden. Der Kuß hört nicht auf und ich schließe die Augen. Ich hole ihn üppig zurück, ich hole ihn noch einmal zurück, ich hole ihn zurück und mein freigegebenes Blut sinkt (?).

"Wir waren in dem alten Basar", hebt die Freundin ihr Haar von ihrer Beute weg: Langfallend ist der Ohrring, Silber und mit kleinen Steinen besetzt, die bei jeder Bewegung leise klappern. Meine Ohren waren nackt, wie üblich. "Warum trägst du keine Halsketten, Armbänder und Ringe ?" Meine Schwester fragt mich und ich versuche mich um eine Antwort zu drücken. "Die arabische Frau ist nicht überall von gleichem Gewebe, die Sorgen der Frau auf dem Land unterscheiden sich von den Sorgen..." Als ich während meines Studiums ein Liebesgedicht geschrieben habe, sagten sie, dies sind die Worte einer Frau, die keine Sorgen hat. Auch er fragte, und mit einer theatralischer Bewegung, die vom Kongreß nicht besprochen wurde, tat ich kund, "Ich benötige keine weiblichen Zusätze". Er verstand die List und seine Blicke antworteten, herumwandernd wie sanfte Küsse über das Gesicht, auf die Augen, auf die Unterlippe, auf die Brüste, und ich flüchte zu den Geschichten der Freundin und zu ihren Einkäufen. Im transparenten Dunkel wandern seine Küsse sanft, sanft (präzise ??) über das von mir Sichtbare und über das Geheime. Ich schließe von neuem meine Augen, hinter einem Wellenmacher her schwimmend: Sie verknüpfen sich in meinem Innern, vernetzen sich und verkleinern sich dann, weiter weg, weiter weg, bevor sich ein Punkt aus Licht öffnet und sich ausweitet. "Die arabische Frau drückt nicht ihre Erfahrungen aus, aus Angst vor den Sittenurteilen der Gesellschaft, die nicht zwischen dem privaten Leben und der künstlerischen Tätigkeit unterscheidet". Ich brauche meine Augen nicht zu öffnen um ihn zu sehen, Ich weiß, daß er hier ist, vermischt mit dem Geruch der Lust.


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