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Das Wappen der Familie Khammas

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Übersetzung einer Kurzgeschichte von Salwa al-Naimi aus dem Band "Das Buch der Geheimnisse" (Kairo, 1994)


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von Salwa al-Naimi

Sie sprechen von ihren glorreichen Zeiten. Den vergangenen und den zukünftigen. Ich habe keine glorreichen Zeiten. Ich mache meinen Mund nicht auf. Meine Worte werden nur in meinem Kopf geschrieben. Meine Worte sind für mich alleine da. "Die parallele Rede" hat es mein alter Freund verächtlich genannt. Wie hat er das Geheimnis bloß erfahren ? Der Dünne sagte: "Wir hören deine Stimme nicht". Ich antwortete lachend, "Meine Filme sind stumm". Ich bin noch nicht zur öffentlichen Aussage übergegangen. Es bedarf eines hohen Grades an Freundschaft, damit ich es kann. Zum Glück gibt es das Schreiben. (Auch wenn es insgeheim ist ?). Meine Sprache besteht aus Lachen, aus treffenden Bemerkungen, aus ausdrucksvollen Lauten. Eines Tages sagte X., "Dein Satz fängt immer an, um plötzlich aufzuhören. Du zerschneidest ihn mit einem Lachen. Wirst du irgendwann einmal einen wirklich nützlichen Satz sagen ?" Wem denn ?

Der Bärtiges sagte, daß ihm das amerikanische Mädchen gesagt hätte, seine Augen seien schön. Mir hat niemand etwas gesagt. Er sagte, sie hätte ihm gesagt, "ich werde diese Nacht bei dir bleiben". Er sagte, daß sie ihre Bekannten im Café zurückgelassen, und sich schon nach dem ersten Blick an ihn geworfen hätte. Er sagte, daß sie ihm im Hotelzimmer gesagt hätte, ich liebe dich. Er sagte, daß sie sagte. Er sagte: "Amerikanerinnen sind nicht so verklemmt wie Französinnen". Ich wußte nicht, daß die Französinnen.... Und die Araberinnen, sind sie...? Was wird über sie (über uns) gesagt, in Situationen wie dieser ? Ich sagte nichts. Zum Glück gibt es das Schreiben, (auch wenn es niemand liest).

X. fragte mich, während wir eines Tages im Garten der Universität von Damaskus spazieren gingen : "Was versteckst du hinter deinem Ärger und hinter deinem Lachen ?" Warum stellte er sich vor, ich würde etwas verstecken ? Ich wirke nicht überzeugend. Dies bin ich : Leichtigkeit, nutzlose Sätze, schnelle Bemerkungen, gelöschte Sprache. L. schrieb, die Motivation für Schreiben ist die Isolation. Mit dem Schreiben versuchen wir sie zu durchbrechen. Was ist das Motiv dafür, unsere Worte zu verschlucken ? Was versuchen wir damit zu brechen ? Was versuchen wir damit zu heilen, welchen Bruch zu schienen ?

Der Fotograf sagte : "Das wichtige ist, daß wir uns bewegen, daß wir rauskommen, daß wir mit der Welt zusammenstoßen". Auch ich möchte mich bewegen, herauskommen. Ich möchte nicht mit der Welt zusammenstoßen. Möchte ich ihr aus ihrem Weg treten ? Wie ich es immer gemacht habe ?

Sie reden und ich höre zu und spreche mit mir selber. Ich höre und höre doch nicht. "Die parallele Rede" sagte der, der das Geheimnis gelüftet hatte. Es waren die Brüder zu Hause, dann die Genossen in der Aktionszelle, und nun sind es die Kollegen bei der Arbeit. Sie reden und ich höre zu und spreche mit mir selber ? Was hat sich verändert, und wer ? Die Worte überschneiden sich im weiten Raum des Büros und fallen als Leichen herunter und ich rede mit mir selbst. Ich sehe sie wie die Kugel eines Heckenschützen den Mund verlassen, fliegend, um sich über ein Wort herzumachen, das etwas zuvor (einen Mund) verlassen hat. Nur ein Wort kann ein weiteres Wort aus dem Brunnen emporholen. Sie gleiten an mir ab und hinterlassen noch nicht einmal einen Nachklang. Ich höre und höre doch nicht. Meine Finger streichen über den schwarzen Samt. Eine kleines rundes Kissen. "Ich rate es dir. Nach einer halben Stunde Meditation fühlst du, daß deine Energie wieder von neuem aufgeladen ist und daß dein Kopf sich geleert hat von..." Die Adresse ist in meiner Tasche und mein Kopf ist leer. Warum braucht sie einen spirituellen Lehrer um ihren Kopf zu leeren ? Ich brauche kein schwarzes samtenes Kissen unter meinem Hinterteil, die Beine und die Arme zu verknoten und die mir gegenüberliegende Wand zu fixieren. Mein Kopf ist leer. Meine Wand trage ich mit mir. Meine Wand ist vor mir, ich sehe sie offenen Auges. Sie verschiebt sich wie ein Theatervorhang und ich trete aus meiner Höhle heraus, wenn ich es will. Dies ist wohl einer der Nutzen einer großen Familie ? Was lernt der Kleine in einer großen Familie ? Wie er sich verteidigt. Ich verteidigte mich mit meinem Lachen, mit meinen treffenden Bemerkungen, meinen abgeschnittenen Worten. Ich verteidigte mich mit Taubsein und mit Blindsein. Da bin ich nun hinter meinem Schreibtisch, schreibend, taub, blind, ich höre nichts und sehe nichts in einem Zimmer, das erfüllt ist mit Lachen und mit Worten und Gesichtern und Geschichten, genauso wie ich als Kleine meine Hausaufgaben geschrieben habe, taub und blind, ich höre nichts und ich sehe nichts in einem vollen Zimmer. Was lernt man in einer großen Familie ? Jeder hat seine Listen. Ich wurde stumm und blind und mit einem leeren Kopf und verschluckten Worten. Meine Sprache sind Lachen, Bemerkungen, Empfindungslaute und Sätze. Jeder hat seine Listen ? Ich bin undurchlässig geworden, undurchlässig und dicht, nichts geht in mich rein, es sei denn, ich öffne mich ihm gegenüber.

Der Bärtige sagte : "Das amerikanische Mädchen hat heiße Tränen geweint. Schade. Sie hat mich wirklich geliebt". Und du ? Ich fragte nicht. Ich war damit beschäftigt, mir die Szene vorzustellen, so wie er sie beschreibt. Warum hat mich niemand auf den ersten Blick geliebt ? Warum habe ich niemanden vom ersten Blick an geliebt ? Wie vieler Blicke bedarf es bei mir bis...?

Der Fotograf sagte : "Am gleichen Ort zu bleiben, bringt einem nichts bei" Was lerne ich zwischen der Arbeit und der Wohnung ? Geisel der beiden Gefängnisse. Der Kreis ist geschlossen und ich renne in meinem Leben herum. Es war ein kleines Tier, das in seinem kleinen Rad rannte. Es hörte nicht auf zu rennen. Ich höre den Klang seiner Bewegung im Herzen der Nacht. Es blieb ein Jahr oder etwas weniger bei uns. Es rannte in dem Rad bis es verschied. Wir haben die Leiche auf den Müll geworfen und den Käfig versteckt. Ich überzeugte meinen Sohn mit einem roten Fisch, der im Wasser schwamm. Wohin wäre es wohl gelangt, wäre es auf einer geraden Linie gerannt ?

Der Fotograf sagte : "Das wichtige ist, daß wir uns bewegen". Ich kann noch nicht einmal meinen kleinen Finger bewegen. Verhüllt mit verholzten Bandagen. Herumgewickelt, herumgewickelt, herumgewickelt. Vielleicht greift er eines Tages nach dem Ende des weißen Stoffes und ich drehe mich wie ein Kreisel. Drehe mich, drehe mich, drehe mich. Es bleiben von mir nur die Bandagen, verbraucht auf dem Boden, eine tote Schlange. Zum Glück gibt es das Schreiben (auch wenn es nicht aufgeschrieben wird ?).

Der Fotograf sagte : "Das wichtige ist, daß wir etwas tun. Das wir hinter uns lassen". Was habe ich in meinem Leben gemacht ? Habe ich bekommen, was ich wollte, oder wollte ich, was ich bekommen habe ? Ich habe gelernt, gearbeitet, geliebt, geheiratet ? Sogar meine Großmutter hat es getan oder hätte es tun können. Ich reise, lache, spiele das Spiel der Verführung. Scheiß drauf. Was bleibt ? Will ich denn...? Das Strahlen bleibt in meinem Auge. Ist auch dieses eine Lüge ? "Die Bedächtigkeit deines Verstandes ist eine Gewohnheit bei dir. Du bist süchtig danach und wirst dich nie davon befreien können". Wie oft hat er es gesagt und wiederholt. Er betritt den Raum und sieht mich und meine offenen Augen : "Die Tage eilen, flüchten, wach auf". Ich lächle und mache etwas vor. Ich habe mein Leben schlafend verbracht. Die Tage eilen blödsinnig vorbei, und mein fester Griff nach ihnen nützt nicht das geringste. Sollen meine Hände doch offen bleiben, und sollen die Tage doch idiotisch vorbeieilen.

Der Dünne sagte : "Wir haben uns immer noch nicht vom Komplex Herr und Sklave befreit. Wir müssen...". Der Bärtige sagte : "Die Amerikanerin ist gefahren. Ich habe ihr versprochen zu schreiben. Ich habe ihr die Anschrift des Büros gegeben. Meine Frau kann englisch. Eine Katastrophe, wenn ihr ein Brief in die Hände fiele". Er lacht, sie lachen, ich lache. Ich habe keine Geschichten. Nicht von dieser Art und nicht von anderer Art. Ich habe keine Geschichten. Keine wahren und keine gesponnenen. Ich habe keine öffentlichen Worte. Wie verteidigen wir uns selber ? Ich erzählte sie mir selber und es wurde zur Gewohnheit. Ich habe keine Geschichten. Paläste im Leben oder Paläste in der Phantasie ? In beiden zusammen ? Zum Glück gibt es das Schreiben: Die Wörter öffnen sich vorsichtig in mir wie ein zurückhaltendes Lächeln.

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Salwa al-Neimi ist eine syrische Journalistin, sie lebt in Paris. Abschlüsse in arabischer Philologie von der Universität Damaskus (Diplom), sowie in islamischer Philosophie (Magister) und in Theaterwissenschaften (Diplom) von der Sorbonne, Paris. Sie bereitete (1995) dort ihre Dissertation über den arabisch den Frauenroman vor. Sie arbeitet bei der Zeitung 'Barid Al-Junub' und dem Magazin 'ARABIES'.


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