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Das Glas

Übersetzung der Kurzgeschichte 'Das Glas' von Salwa al-Na'imi aus dem Band "Das Buch der Geheimnisse" (Kairo, 1994)


Das Glas

von Salwa al-Na'imi

Wie eine Diebin schlich ich mich in das Hotelzimmer. Mein Koffer hatte mich überholt. Ich sehe ihn in der Dunkelheit dahingestreckt wie eine Leiche. Ich öffne ihn und stehe davor: Ich muß mich vor der Eröffnungsfeier umziehen. Paß auf ! Bevor ich das Flugzeug bestiegen habe, hatten sie mich gewarnt. Paß auf ! Das Hotel ist voll gespickt mit Mikrofonen und Kameras. Der letzte Schrei modernster Technologie. Paß auf ! Ton und Bild über 24 Stunden lang. Paß auf ! Jede Bewegung. Jedes Flüstern. Alles. Paß auf ! Ich hatte gelacht, während ich die Warnungen und die sie begleitenden Erzählungen anhörte. Ich hatte gelacht, doch jetzt stehe ich verwirrt vor dem offenen Koffer. Ich lasse mir Zeit zum Denken. Ich schalte den Fernseher an und setze mich auf den Rand des Bettes, voll angekleidet und in Alarmbereitschaft. Was kann ich nur tun ? Ton und Bild ? Es gibt da jemanden, der mich jetzt, in diesem Moment, sieht, und meine Atemzüge hört, während ich alleine in einem zugeschlossenen Zimmer sitze. Ich blicke auf den kleinen Bildschirm vor mir, und er sieht mich auf seinem kleinen Bildschirm, wie ich schaue.

Ich nahm meine Kleider und verschwand im Bad. Ich begann mich auszuziehen - dann hielt ich inne. Das Bad ist ein erstklassiger strategischer Ort. Wirklich dumm. Alles was ich an Kriminalgeschichten gelesen und an Spionagefilmen gesehen hatte, nützte mir jetzt genausowenig, wie das Gewicht eines Haares. Ich machte das Licht aus. Ich zog mich an wie eine Blinde. Sie sahen nur eine Silhouette. Dies nennt man das Abbild des Schattens. Vielleicht haben sie Infrarot-Kameras. Jene, die sogar im Herzen der Finsternis Bilder aufnehmen können. Ich lachte mit lauter Stimme auf und verschluckte die zweite Hälfte des Lachens. Ich verließ den Raum während ich mich fragte, ob ich wohl meine Hand heben sollte, um sie zu grüßen.

Wir gewöhnen uns an alles ? Wann begann ich mich in dem Zimmer zu bewegen, als ob ich sie nicht höre und sehe ? Wann hörte ich auf, die Wände und die Zimmerecken und die Bilder und die Möbel anzustarren ? Wann fing ich an, zu schlafen und zu erwachen und mich anzuziehen und mich auszuziehen, während ihre Augen und Ohren mich begleiteten ? Sollen sie doch zuschauen. Ich kann mein Leben doch nicht in Alarmbereitschaft verbringen. Wir gewöhnen uns an alles ?

Manchmal hatte ich die Idee, dem unsichtbaren Beobachter zuzuwinken, ihm meine Zunge herauszustrecken, irgendeine malende Bewegung mit meinem Finger zu machen, was will er denn tun, da in seinem Loch ? Soll er doch zuschauen, bis er platzt. Sollen sie doch filmen, bis sie alle platzen. Ich bin auf Durchreise, und sie haben keine Macht über mich. Würde mein Leben hier verlaufen, dann würde die Geschichte aus anderen Wörtern bestehen. Ich bin hier auf Durchreise. Für vierundzwanzig Stunden, sagten sie. Ich stelle mir einen ordentlichen Angestellten vor, der auf einem Stuhl klebend seine Brote ißt, und mir bis zum Ende seiner Arbeitszeit zuschaut. Der mich an einen anderen übergibt, der mich wiederum an einen weiteren übergibt. Warum stelle ich mir vor, es seien Männer ? Vielleicht verbringt ja eine Frau ihre Stunden damit, mich zu beobachten. Nein. Die schwierigen Fälle behalten sie sich vor. Es bleibt also die Frage : Was machen sie mit meinen Filmen ? Was würden sie tun, wenn ich diese zur Erinnerung "Besuch der Stadt... im Jahr... aufgrund..." von ihnen erbitten würde ? Ich will lachen, doch eine Hitze beginnt in meinen Kopf aufzusteigen. Was wäre eigentlich, wenn ich bei dem intellektuellen Symposium vorschlagen würde, das Thema "Die alltägliche Transparenz in der arabischen Kultur" zu diskutieren ? Wer wird lachen ? Ich will lachen, doch eine Hitze beginnt in meinen Kopf aufzusteigen.

Gestern, als wir den Abend im Zimmer von F. verbracht haben, da waren wir viele. Wir haben geredet. Wir haben gelacht. Wir haben gesungen. Wir haben getanzt. Die Gläser wanderten gefüllt umher und kamen geleert wieder. Die Melodien wurden lauter und das Lachen spontaner. Die zwischen uns gepflanzten Augen sehen uns. Die zwischen uns gepflanzten Ohren hören uns. Wir haben sie eingeladen, sich zu uns zu gesellen. Wir haben ihnen die neusten dreckigen Witze erzählt. Wir haben sie in allen Sprachen der Welt angeredet: Es gab keine Wahl, die Übersetzungsabteilung mußte eingeschaltet werden. Wir lachten noch mehr. Vielleicht würde unsere Verrücktheit ansteckend wirken. Wir wußten, daß wir an diesem feindlichen Ort nur auf der Durchreise waren, und wir hatten den Mut der Durchreisenden. Was konnten sie gegen uns tun ? Was konnten sie gegen unsere Unschuld tun ? Dort, in einer anderen Stadt, da war ich nicht auf Durchreise. Seit wann habe ich keine Gesichter mehr gesehen, in denen die Furcht wohnt ? Dort war ich keine Vorübergehende. Ich nahm meinen Koffer und reiste ab. Ein Duft, den ich kenne, entweicht der Tür des Hotels und verfliegt im Himmel der Stadt, spaziert durch ihre Straßen und berührt die Leute und auch uns, uns Passanten. Was mache ich an diesem feindlichen Ort ? Seit wann habe ich die Gewohnheit verloren, mich selbst zu beobachten, vorsichtig um mich zu schauen, in ein Ohr zu flüstern, Worte zu verschlucken ? Was mache ich an diesem feindlichen Ort ? Soll ich meinen Koffer nehmen und abreisen, bevor das Symposium zu Ende ist ? Eine Hitze beginnt in meinen Kopf aufzusteigen. Die Hitze eines gläsernen Käfigs, der in einer Höhle versteckt ist. Ich werde ihnen das Zimmer leer auf ihren kleinen Bildschirmen zurücklassen. Ich werde in die Hotellobby flüchten, um bei den anderen Schutz zu suchen. Eine Hitze beginnt in meinen Kopf aufzusteigen. Seit wann habe ich nicht mehr jenen Geruch eingeatmet ?

Ich warte alleine auf den Fahrstuhl. Ich schaue aufmerksam umher. Die Suche nach versteckten Apparaten ist tatsächlich automatisch geworden : Der Fahrstuhl ist ein strategischer Ort. Die Leitern und die Schächte. Ich warte alleine auf den Fahrstuhl und eine Hitze schlägt zu. Die Hitze eines gläsernen Käfigs, in dem ich mich wie eine Labormaus bewege, auf dem Glas eines kleinen Bildschirms. Ich nehme meinen Koffer und reise ab ? Plötzlich geht die Tür auf. Ich blicke in ein Gesicht. Unsere Worte überkreuzen sich : Du hier ? Du hier ? Die Überraschung räumt ihren Platz für zwei Arme, die mich umfassen. Die Überraschung räumt ihren Platz für einen Kuß, der nicht endet. Eine Zunge spielt in meinem Mund und das Salz weit entfernter Meere erreicht meine Zunge, zusammen mit dem Duft, den erstickten Schreien, dem Flüstern, den vorsichtigen Blicken, dem Ausdruck der Angst. Das Salz weit entfernter Meere kam mit den Bruchstücken gläserner Käfige und Bildschirme. Das Salz weit entfernter Meere kam mit einer Sonne und mit einer Lust, die in der Sonne erstrahlt. Paß auf ! Vierundzwanzig Stunden. Ton und Bild. Jede Bewegung. Jedes Flüstern. Alles. Der Kuß hörte nicht auf und ich wollte auch nicht, daß er endete. Umarmt gehe ich wieder in mein Zimmer zurück. Umarmt öffne ich die Tür. Umarmt schließe ich sie. Die Wände und die Ecken und die Bilder und die Möbel sind hier. Ich entferne mich von ihm. Ich mache alle Lampen an, eine nach der anderen. Ich mache sie an, Leuchte, Leuchte, bevor ich zurückkehre zu seinen Küssen, salzig, salzig...

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