SF
Kurzgeschichte von Ghassan Homsi, Damaskus
Übersetzt
von Achmed A. W. Khammas, Berlin
(Applaus)
Vielen Dank, ...Danke!
Zu
Beginn möchte ich dem vfr sehr
herzlich dafür danken, daß er mich
aus Anlaß seines 40-jährigen Bestehens
als Gastredner eingeladen hat. Und ganz ehrlich:
Ich freue mich schon auf das angekündigte "Raumfahrer-Büfett" und
auf die vielen Gespräche im Anschluß an
den offiziellen Teil der Feierlichkeit, denn
mir sind im Publikum mehrere langjährige
Freunde und Bekannte aufgefallen, die ich eigentlich
schon jensseits der Oortschen Wolke vermutete.
(Lachen
im Publikum)
Kommen
wir also zu dem Thema meines kurzen Vortrages,
den ich ganz bewußt "Der schwarze
Schwan: ein Goldesel" betitelt habe.
Denn genau so, wie es keinen schwarzen Schwan gab,
ja, wie er noch nicht einmal vorstellbar war – zumindest
solange, bis er den Siedlern Australiens und
Tasmaniens überaus lebendig vor die Füße
lief – genauso konnte es nichts
wie den Manthey-Ludwig-Antrieb geben.
Durfte es nicht geben! Jedenfalls war das der
wissenschaftliche Konsens. Bis es den MLA dann
doch gab – und sich alles änderte.
Aber so ist es nun mal bei einem unerwartenen
Paradigmenwechsel...
Persönlich
habe ich die beiden Erfinder übrigens kurz
vor meinem ersten Flug kennengelernt. Zwei ausgesprochen
nette Herren in schon fortgeschrittenem Alter,
aus deren Augen aber noch immer der Schalk der
Jugend blitzt. Jahrzehntelang hatten sie in ihrem
Forschungsinstitut, dem ehemaligen Laboratorium
für Wellenausbreitung auf
dem Kolberg nahe Berlin, an Systemen der sogenannten "Freien
Energie" herumexperimentiert. Teslaspulen
und Coler-Konverter, Kalte Fusion und Wirbelkraftwerke,
Meyl-Transmitter und Turtur-Rotoren... nichts
war vor ihnen sicher. Bis sie dann bei der Torus-Technologie ankamen
und versehentlich einen Teil ihres Labors in
den Orbit schossen. In den Orbit des Mars wohlgemerkt,
dessen Gravitationsfeld sich aber nur zufällig
mit der ungeplanten Flugbahn gekreuzt hatte.
Behaupteten Manthey und Ludwig jedenfalls.
In
Andenken an den jungen syrischen Laboranten,
der zu jenem Zeitpunkt gerade an einem Al-Khooss-Wandler
herumbastelte, gibt es seitdem in Kolberg eine
mehrsprachige Gedenkplakette. Ich bin übrigens
mit einem seiner Neffen befreundet. In der Familie überwiegt
der Stolz auf den Onkel bei weitem die Trauer,
erzählte er mir. Die sterblichen Überreste
des ersten interplantaren Astronautens "wieder
Willen" wurden bei einer späteren
Mission übrigens zurückgebracht, und
das Grab in einem Vorort von Damaskus zählt
heute zu den touristischen Attraktionen des Landes.
Fragen
Sie mich nun bitte nicht, wie das Ganze technisch
oder physialisch möglich ist. Ich weiß es
genauso wenig wie alle anderen. Selbst die Erfinder
schaffen es, alle paar Jahre eine neue mathematische
Konstruktion als die "nun endlich eindeutige,
korrekte und endgültige" Beschreibung
der Fuktionsgrundlagen vorzulegen. Bis zum Erscheinen
der nächsten, welche der vorangegangenen
mindestens in der Hälfte aller Punkte diametral
widerspricht. Der MLA hat vermutlich irgend etwas
mit der Verdrillung von Neutrinostrahlung zu
tun, bei welcher Subquantenpartikel auf die Idee
kommen, alles in ihrem Umfeld auf knappe Lichtgeschwindigkeit
zu beschleunigen. Völlig linear, rechtwinklig
zum Start-Gravitationsfeld und ohne jegliche
Trägheitseffekte. Was – wie schon
gesagt – wissenschaftlich absolut unmöglich
ist. Wir sollten heute also dankbar dafür
sein, daß es Ingenieure gab, denen dies
völlig egal war. Und die sich voller Elan
umgehend daran machten, Gerätschaften zu
entwickeln und zu bauen, um dem orbitalen Laborteil
hinterher zu fliegen. Und die damit aus dem "Schwarzen
Schwan" einen
kosmischen "Goldesel" machten.
Erlauben
Sie mir an dieser Stelle eine kleine Abschweifung
(Aufstöhnen im Publikum). Nein
nein, keine Sorge, ich will Ihnen nur das Ergebnis
meiner Forschungen zu eben jenem geflügeltem
Wort (Haha!) kundtun. Sie wissen, jeder
hat so sein Hobby… also das mit dem Goldesel,
das scheint aus der Zeit der osmanischen Besatzung
des Nahen Ostens zu stammen. In einer Familienbiographie
fand ich nämlich den Hinweis darauf, daß ein
Vorfahre bei seinen Ritten durch das mit gefährlichen
Banditen verseuchte Land seine Golddinare nicht
am Körper trug, denn dort hätten die
Räuber sie nur allzu leicht gefunden. Statt
dessen steckte er sie morgens seinem Esel in
dessen… öhm,
ja ... also in dessen Po-Loch… (lautes
Lachen im Publikum) und band ihm dann den
Schwanz fest. So hat er alle Überfälle
ohne größere Verluste überstanden.
Abends durfte der Esel dann sein Geschäft
machen, und die Golddinare wurden aus den Kötteln
wieder herausgeklaubt. Anscheinend hat ihn dabei
jemand beobachtet… und daraufhin das Märchen
vom Goldesel in die Welt gesetzt!
Doch
zurück zu unserem heutigen Thema, dem Manthey-Ludwig-Antrieb und
seinen geschäftlichen Implikationen.
Der
Rest war nur noch eine Zeitfrage. Da die beiden
Erfinder ihre Patente, Versuchsberichte und sonstigen
Informationen treuhänderisch der Internationalen
Union hoffnungfroher Physiker überreichten
(den Nobelpreis hatte man ihnen schon verliehen),
und diese Union den Gedanken der "Open Science" vertrat,
war bald darauf mehr oder weniger jede Klitsche
mit Kyrowandler, Schweißgerät und
einem Satz Sechskantschlüsseln in der Lage,
ein interplanetares Gefährt zusammenzubasteln
und nach dem Motto "frisch – fröhlich – frei" den
nächsten Gravitationstrichter anzusteuern.
Solange das Gefährt nur
luftdicht
war. Die vielen dunklen und kalten Objekte, die
sich inzwischen in der Nähe der Planeten
und Monde unseres Sonnensystems tummeln, legen
allerdings nahe, daß diese Luftdichte häufig
doch nicht so einfach zu verwirklichen war, wie
man gedacht hatte...
Natürlich
versuchten die bisherigen Raumfahrtmächte
ihr Monopol aufrecht zu erhalten und erließen
stringente Verkehrsvorschriften. Womit sie sich
jedoch nur lächerlich machten. Insbesondere
als herauskam, daß ihre eigenen Astronauten
genauso gerne das neue Rotlichtviertel im Mondorbit
frequentierten, das man aus der Mitte von Bangkok
herausgerissen, mit einer Habitathülle umgeben
und dann dort
stationiert hatte – samt kompletten
Inhalt natürlich.
Gegen Sex in Schwerelosigkeit kam keine Regierung
der Welt an!
Und
die Menschen? Plötzlich stand ihnen das
ganze Sonnensystem offen und die Sterne rückten
näher. Viele von uns sprachen von einem
neuen Zeitalter, doch die meisten Menschen änderten
sich überhaupt nicht. Es blieb alles wie
bisher – nur war es plötzlich sehr,
sehr viel größer geworden. Es gab
mehr Platz, um sich gegenseitig aus dem Weg zu
gehen, was nur gut war, denn die neuen Raumfahrer
nahmen alles mit, was ihnen lieb und teuer war.
Haustiere und Fetische, Kunstrasen und Bierdeckel-Sammlungen,
Bowling-Bahnen und Hängegleiter, Genußmittel
(in großen Mengen) und Drogen (in noch
größeren Mengen). Und natürlich
auch Waffen... Sie wissen sicherlich, worauf
ich damit anspiele. Daß es aber auch anders
geht, dafür steht mein Unternehmen SPACITAT – und
damit nähere ich mich auch schon dem Ende
meines Vortrags.
Ein
kurzer Rückblick: Ich selbst hatte auf der
Erde schon seit vielen Jahren solarthermische
Aanlagen gebaut, was auch der Grund dafür
war, daß meine geschäftliche Anpassung
relativ schnell vonstatten ging. Mit unseren
Erfahrungen an großen Solarspiegeln war
die Firma der erste, die aus Asteroidenschrott
bewohnbare Habitate machen konnte. Mittels der
komprimierten Strahlung haben wir
die Brocken bis kurz vor die rWeißglut erhitzt...
und dann aufgeblasen. Im Grunde
handelte es sich um eine Uralt-Technologie, wie
sie von Glasbläsern
schon seit Jahrtausenden angewandt wird, nun
natürlich entsprechend groß dimensioniert.
Was
die gegenwärtige Auftragslage anbelangt,
so bin ich äußerst zufrieden. Ich überlege
gerade, ob wir nicht auch in die Ausstattung der
Habitate einsteigen sollten. Da es viel einfacher
ist, fremde Planeten zu erforschen, wenn sich
eine Miniwelt voller Sauerstoff und Wasser, Pflanzen
und Menschen in einem nahen Orbit befindet, kommen
Aufträge für
immer größere Habitatblasen herein.
Und deren Ausstattung mit einer kompletten, geschlossenen
Biosphäre ist ja so was von lukrativ...!
Und
deshalb möchte ich zum Abschluß die
Gelegenheit nutzen, Ihnen das neue Shareholder-Angebot
unserer SPACITAT AG zu präsentieren, mit
dem Sie in wenigen Jahren reich werden können.
Sie müssen nur schnell genug unsere Aktien
kaufen, damit … autsch...! (fliegende
Kaffebecher und ähnliches unterbrechen den
Vortrag).