Träume vor dem Einbruch der Nacht
von Ghassan Homsi
Ich hatte gerade die Diskette zum dritten Mal umgedreht, als endlich die Autobahnausfahrt kam. Aufatmend ging ich vorsichtig in die Kurve. Der Asphalt war brüchig und seit Jahren nicht mehr repariert worden. Unsere Bekannten beklagten sich häufig, daß wir unser Landhaus so weit ‘hinter dem Mond’ gekauft hätten ... eben darum! So konnte ich mich in aller Ruhe hierher zum Schreiben zurückziehen, ohne ständig von gelangweilten Stadtflüchtlingen heimgesucht zu werden. Die guten Freunde kamen trotz der Entfernung, und die blieben auch immer länger als nur ein Wochenende, in dem die anderen sonst höchstens Erholung auf Teufel-komm-raus gesucht hätten.
Das Stück Landstraße, das ich zu fahren hatte, war nicht sehr lang, danach kam noch ein kurviges Stück Kiesweg um den Hügel, und hinter diesem, versteckt und abgelegen, lag unser kleines ‘Traumschloß’. Vor Jahren hatten es meine Frau und ich in reichlich verfallenem Zustand übernommen, gemächlich, aber solide repariert und genossen seitdem, so oft wir konnten, die relative Weltabgeschiedenheit hier. Im Umkreis von mehreren Kilometern gab es weder Fernstraßen noch Ortschaften, keine Hochspannungsleitungen oder Militärstützpunkte, und bis auf einen lang verlassenen Steinbruch in der Nähe auch keinerlei Zeichen, daß sich jemals jemand besonders um diese Gegend gekümmert hätte. Wenn man lange genug sucht, findet man überall solche Ecken, in denen sich noch eine gute Portion Natur versteckt hält. Wir hatten übrigens nie herausfinden können, warum der ursprüngliche Besitzer gerade hier gebaut hatte, aber vielleicht hatten ihn ja auch nur die gleichen Motive getrieben wie uns.
Fast verpaßte ich die Abzweigung, denn meine Gedanken wanderten weit voran und noch weiter zurück. Ich mußte scharf bremsen und rumpelte dann mit dem alten Wagen die letzten zwei Kilometer über den Schotterweg.
Die Musik lenkte mich immer wieder vom Fahren ab, und ich gurtete mich los, um in der schnell einbrechenden Dunkelheit die nur zu gut bekannten Schlaglöcher besser sehen zu können. Im Moment 1ief gerade das stark spacy klingende Stück, in dem olle Jack mittendrin seine mondsüchtigen Schreie losläßt, obwohl mein Synthie-Arrangement doch ganz harmlos anfängt! Ich hörte es zweifach, irgendwie überlappte sich die Phantasie mit der Realität. Einmal aus den knarzenden Plasma-Hochtönern des Autos, und einmal in reifer Studioversion in meinem Innern. Es war eigentlich gar nichts Besonderes dran an dem Stück, zumindest musikalisch, trotzdem war es verdammt gut angekommen - und gewiß nicht nur wegen der infernalen Schreie unseres Armeniers. Vielleicht, weil wir es in einem recht abgehobenen Zustand aufgenommen hatten? Jedenfalls war es unsere Musik... und wir waren IN der Musik - und das hörte man.
Ich mußte grinsen, als mir der Abend einfiel, an dem Jack freudestrahlend auftauchte. Er hatte irgendwo eine uralte Aufnahme der Gruppe HAWKWIND ausgegraben und wollte nun begeistert, daß wir das eine oder andere Stück neu arrangieren - obwohl er doch meine starken Vorbehalte diesbezüglich kennt. Ich bin einfach zu faul, etwas einzustudieren, was ein anderer schon mal - und wahrscheinlich viel besser - gespielt hatte. Jedenfalls taten wir ihm ausnahmsweise den Gefallen, und nachdem er endlich selbst eingesehen hatte, daß man die ‘alten Meister’ nicht mehr immortalisieren konnte (etliche Stunden später!), naja, da brüllte
er eben seinen Frust in derartigen Kadenzen heraus, daß dem Typ am Mischpult die Nieten aus seinem Kopfhörer flogen.
Das Problem unserer Hobby-Gruppe war und ist die räumliche Distanz. Bis auf eine Ausnahme leben wir alle in verschiedenen Ländern, kommen ein- bis zweimal im Jahr für wenige Tage zusammen, stellen fest, daß wir alle eigentlich viel mehr üben müßten, nehmen trotzdem jede Menge Ideen und Improvisationen auf, vervielfältigen diese, so daß zumindest jeder von uns ein Exemplar mitnehmen kann, versprechen uns gegenseitig, das nächste Mal viel länger dazubleiben - und zerstäuben wieder in alle Winde.
Trotzdem, es war eine Sucht. Wir kannten uns nun schon seit Jahrzehnten und träumten immer noch den Traum unser eigenen richtigen Rock Formation. Klar, wir wußten, daß unsere Band nie ‘on stage’ sein würde, aber ganz ablassen von dem ROCK konnten und wollten wir auch nicht. Und wie gesagt, manchmal kam ja auch tatsächlich etwas heraus dabei. Mit ‘Nasaluh’ hatten wir so etwas wie den ersten ‘Protestsong’ in der zerrissenen arabischen Welt kreiert, ‘The Last part’ wurde von Freunden als Mytho-Punk gefeiert und die alten ‘Ya Uadoud’ und ‘Al Rahman’ hatten sogar öffentliche Entrüstung seitens islamischer Fundamentalisten ausgelöst, die sich, frustriert von der so überraschend gekommenen Nach-Öl-Zeit, mit jedem anlegten, der nicht nach ihrer religiösen Pfeife tanzte. Dabei haben wir mit unserem SUFI-Rock nun wirklich nur die lautersten Absichten. Der ganze Heilige Koran ist so schön rhythmisch, daß es einfach schade wäre, ihn nicht als Gesangstext zu nutzen. Die Wucht, die den uralten und ewig-neuen Worten innewohnt, konnte nur mit reinem Heavy-Metal akzentuiert werden, außerdem steht von uns nun mal keiner auf süßliche Schnulzenmusik oder trockene Hüstelrezitation, die eigentlich eine Schmerzgeldzulage für die Hörer erforderlich machen würde.
Ein übersehenes Loch rappelte meinen Kopf wieder in die Gegenwart. Es war nicht mehr weit. Inzwischen schon fast dunkel, brachten auch die dämmerigen Scheinwerfer nicht viel, aber ich kannte den Weg ja. Da unser eigenes Auto noch einige Tage in der Stadt bleiben mußte, bis die Familie in der folgenden Woche nachkommen würde, hatte ich mir von einem Freund seinen alten Wagen ausgeborgt. Nicht nur, daß das Diskettenlaufwerk keine Automatik hatte, auch sonst war die Karre schon weit über den Schrott-Zustand hinaus. Dennoch brächte sie auf dem Markt ein kleines Vermögen, besonders seitdem der staatliche Import von Fahrzeugen aus Devisen- und Energiespargründen so gut wie zum Erliegen gekommen war. Und das lag ja nun schon über zwanzig Jahre zurück.
Ich befand mich in einem seltsamen Zustand; auf der einen Seite erwartete ich in jedem Moment das Einsetzen von Jacks Gebrüll und fragte mich, wie das wohl die Installationen langfristig aushalten würden, auf der anderen Seite döste ich aber fast ein. Das rüttelnde langsame Fahren, das halb automatische Lenken und meine schlafarmen Nächte der letzten Zeit reduzierten meine Aufmerksamkeit; vielleicht bin ich für einen Moment sogar richtig eingenickt. Im nächsten war ich schon wieder hellwach, nur leider etwas zu spät. Ich krachte zwar langsam, aber nichtsdestoweniger mit vollem Nachdruck in ein Auto, das unbeleuchtet mitten auf dem Kiesweg stand. Bevor ich mit dem Kopf gegen die Scheibe knallte, hatte ich gerade noch Zeit, mich über das Ausbleiben von Jacks Schrei - der jetzt sehr passend gewesen wäre - zu wundern, über die unerwartete Existenz des anderen Wagens und darüber, daß er gar nicht wie ein Wagen aussah. Dann verlor ich das Bewußtsein.
Ich erwachte durch eine Vibration, zu der ich im Kopf die passenden harmonischen Synthie-Tasten drückte. Ich mußte blinzeln und hatte plötzlich daß Gefühl, daß irgend etwas überhaupt nicht stimmte. Mich langsam aufrichtend bemerkte ich, daß ich mich in einem diffusen Raum mit abgerundeten Ecken befand. Das weiche Bodenmaterial, auf dem ich lag, schien die gleiche sanft-schimmernde Helligkeit auszustrahlen, wie die Wände und die Decke ringsum. Ich hantierte in Gedanken wahrscheinlich mit den falschen Begriffen, aber zu sagen, daß ich mir wie in einem hohlen Zitronenbonbon eingeschlossen vorkam, würde den Nagel wohl auf den Kopf treffen. Apropos Kopf, wie kam es, daß ich keinen Schmerz fühlte? Und wie war ich überhaupt hierher gekommen?
Ich betastete meine Stirn und versuchte gleichzeitig, aus den letzten gespeicherten Bildern meiner Erinnerung mehr Details herauszukitzeln. Es gab keine Beule, auch die Brust tat mir nicht weh, obwohl ich gegen das Steuerrad geknallt sein mußte. Ich blickte mich verwundert um. Es war eindeutig kein Krankenwagen, in dem ich lag. Woher hätte der auch kommen sollen? Befand ich mich vielleicht in dem anderen Wagen, in dem, auf den ich aufgefahren war?
Ich vermißte die Musik, doch in der Brusttasche meiner Lederjacke fand ich nur die leere Diskettenhülle. Sicher steckte die Aufnahme noch im Laufwerk der alten Karre. Aber wo steckte die? Und wo, verdammt noch mal, ich?
Rückschauend glaubte ich zu erkennen, daß mein Unfallpartner ein ziemlich modernes Fahrzeug gehabt haben muß. Das letzte Erinnerungsbild, reichlich verschwommen schon, ließ keinerlei Rückschlüsse auf irgendein mir bekanntes Modell zu. Der Wagen schien auch wesentlich breiter gewesen zu sein, als man es dem einfachen Kiesschotterweg zugetraut hätte. Und was mich am meisten störte - wer zum Teufel hatte in der Nähe unseres Refugiums seinem Transporter unbeleuchtet mitten auf dem Weg stehen zu lassen?
Doch so kam ich nicht weiter. Entschlossen stand ich auf - und mußte mich gleich wieder hinsetzen. Irgend etwas stimmte mit der Schwerkraft nicht. Der Raum, in dem ich mich nun vollends verwirrt umschaute, beschleunigte, und das nicht gerade langsam. Nun, ich bin ein ziemlich wilder Konsument von den (inzwischen verbotenen) sogenannten Utopischen Romanen, und so konnte ich leicht eins und eins zusammenzählen. Es war unglaublich, aber allem Anschein nach hatte ich einen Auffahrunfall mit einem UFO gehabt! Vor Jahren hatte es eine Diskussion zwischen den verschiedenen am Panislamischen Parlament beteiligten Gruppen gegeben, ob man das Teufelswerk unbekannter Flugobjekte den amerikanischen oder den russischen ‘Dämonen’ in die Schuhe schieben sollte. Nach langem Hin und Her einigte man sich darauf, das Problem als nichtexistent zu betrachten, da weder im Koran, noch in der Sunna, der Überlieferung des Propheten, etwas anderes fliegen durfte als Erzengel und der lichterschaffene Kentaur ‘Al Burak’, der den Propheten damals in wenigen Sekunden von Mekka nach Jerusalem und von da bis hoch zum siebten Himmel schaffte. Also konnte es ja gar nichts anderes geben - hatten sich die Großmächte doch gegenseitig so aufgerieben, daß nicht viel mehr übrig war, und ganz sicher nichts mehr, was irgendwie auch nur halbwegs flugtauglich war. Und nun stoße ausgerechnet ich mit so einem ‘Geschöpf der kranken Phantasie’ (Zitat!) zusammen...
Immerhin, recht nett von den Burschen, nicht gleich Fahrerflucht zu begehen. Oder hieße das dann Fliegerflucht? Jetzt bestürmten mich auch die anderen Fremdheiten, der Geruch, die Proportionen, die Färbung des diffusen Lichtes und tausenderlei mehr, gegen das ich mich anscheinend zuerst unterbewußt, aber erfolgreich gesperrt hatte.
In meinem Kopf verknoteten sich die Gedankenstränge. Einer lief ganz futuristisch ab nach dem Motto ... jetzt bringen sie dich in ein interstellares Krankenhaus und merzen erstmal alle Erbleiden deiner Evolution aus, und deine Intelligenz entpuppt sich bei den anschließenden Tests als ausreichend, und du bekommst den Auftrag, deinen Planeten von den Vorteilen des dritten metagalaktischen Freihandelsvertrags zu überzeugen und back-on-earth wirst du überall wild gefeiert, und sogar die Scheichs lassen dich in Ruhe, und deine Frau ist stolz auf dich ... während ein zweiter Strang paranoide Tiefen auslotete ... die haben sich ja absichtlich da hingestellt, ganz bestimmt, seit Wochen schon lauern sie dir auf, und du wirst die ganze Zeit beobachtet, weil sie unsere Musik nicht auf unserem Planeten haben wollen, und deshalb entführen sie dich jetzt, aber warum die Umstände? Wahrscheinlich werfen sie dich außerhalb einer Umlaufbahn aus der Ladeluke, wie sie es in den Büchern immer machen und was ganz spurensicher ist, aber warum so unwirtschaftlich? In den alten USA sind schon in den besten Zeiten jährlich 50.000 Kinder verschwunden ohne eine Spur zu hinterlassen; sind die vielleicht aufgegessen worden? Stell dir das mal vor, jedes Jahr 50.000 Kinder, ein riesiges Stadion voller Kinder, einmal zusammengeklappt bitte, ein monströses Sandwich und ich bin jetzt der Appetithappen, der Aperitif ... während ein dritter Strang sich regelrecht um die Ketten wand ... denn ich habe ja gar keine Beule, also bestimmt kein Krankenhaus, außerdem wäre ein Laserstrahl oder etwas zuviel Infraschall schon mehr als genug, und ich wäre schon längst aus dem Verkehr, aber wer sollte überhaupt Interesse an unserer dummen Spezies haben, die ihren Planeten und sich selbst so gut wie zugrunde gerichtet hat, das ist nur mein 2001-Tick, dabei ist das auch schon wieder einige Jahre her, und ob die überhaupt terrestrische Musikstile unterscheiden können, ist sowieso fraglich. Wer wirklich intelligent ist, braucht doch keine müden Lauscher mehr, Biochips on Online bringen doch viel sauberere Daten rein, doch würde ich in die Geschichte eingehen, wenn sie mich in vielleicht hundert Jahren beim Kreuzen der Venus-Umlaufbahn erwischen - und überhaupt, wie fühlt man sich wohl tiefgefroren? Können die mit einem Hamburger darüber reden? Jedefalls ist es echt abwegig anzunehmen, daß die sich aus koscheren Motiven um unseren ehemals blauen Planetee kümmern, nicht mal touristisch läßt der sich noch vermarkten und die Menschheit ist viel zu hinüber, als daß sich ein Versklaven lohnen würde, ganz sicher, das macht man besser bei den Insektenvölkern ... doch ich ertappte mich bei diesen rassistischen Gedanken, und dachte, daß meine Entführer/Retter ja möglicherweise telepathische lnsektoide sind ... also riß ich mich zusammen. Schaudernd unterbrach ich das Getöse in meinem Kopf, das sich wahrscheinlich in nur dem Bruchteil einer Sekunde abgespielt hatte.
Nun Alter, sagte ich mir, herzlichen Glückwunsch. War es nicht schon immer dein Wunschtraum gewesen, aus erster Hand die Erfahrung zu machen, ob es ET’s gibt - oder nicht? Nun hast du noch zwei Wünsche frei.
Der zweite fiel mir auch sofort ein: in dem wundervollen stinkenden und rumpelnden alten Wagen die letzten paar hundert Meter zu unserem Häuschen zu fahren. Mehr wollte ich im Moment wirklich nicht - und den dritten Wunsch gäbe ich dann auch gerne zurück. Ganz ehrlich.
Vorsichtig stand ich auf. Diesmal ging es besser. Das seltsame Gefühl resultierte auch nicht aus einer anderen Schwerkraft, ‘sie’ konnten diese vermutlich regulieren, sondern von einer Art Schieben, das mich an ungeheure Geschwindigkeiten denken ließ. Und das war es auch, was mich endgültig davon überzeugte, daß wir uns nicht mehr auf dem Boden befanden. In mir schrie jemand: “Ich will raus hier”, aber dann faßten die antrainierten Programme, und meine Neugier erwachte.
Es schien, daß ich im Moment sowieso nicht das geringste machen konnte, und als randalierender Passagier wollte ich mich nun auch nicht aufführen. So gut glaubte sogar ich das intergalaktische ‘Benimm-Dich’ verstehen zu können. Also Primitivling, zeig mal, wie entwickelt du bist!
Gegen das leichte Coriolis-Schwindelgefühl ankämpfend - den Kindern hätte es bestimmt höllisch Spaß gemacht -, tappte ich in dem Blasenraum umher. Es ging mir durch den Sinn, daß meine Gastgeber doch äußerst höflich schienen, indem sie mir erstmal ausreichend Zeit gaben, mich einzugewöhnen. Ich sah mich schon grüne Tentakel schütteln und über rotviolette Borsten streicheln, aber erstmal waren die Dinge in meinem Raum so faszinierend, daß ich derartige Gedanken nicht weiter verfolgte.
Auf einer abgeflachten Auswölbung an einer der Raumseiten (?) befand sich ein hyperboloides Gefäß, das sich wie ein Kreisel auf der Stelle drehte. Die Rotation war so exakt, daß man sie aus einiger Entfernung nicht mehr wahrnehmen konnte. In dem Gefäß befand sich, wie ich nach anfänglichem Zögern feststellen konnte, Wasser. Einfaches, frisches Wasser. Meine Tränke. Ich schämte mich meiner Gedanken, dann meiner Bedürfnisse, dann meiner Eitelkeit und dann wieder meiner Gedanken. Wahrscheinlich gab es keine festinstallierten Rohrleitungen in diesem Raumschiff, jedenfalls keine für H2O. Schließlich haben wir auf der Erde diesen Luxus auch erst seit wenigen Generationen und inzwischen zumeist nicht mehr. Ich schraubte an meinen Erwartungen und an meiner Selbsteinschätzung ständig herauf und herunter. Aber das rotierende Gefäß war nun mal da, und ganz vorsichtig streckte ich die Hände danach aus. Es ließ sich überraschend leicht abbremsen und anheben, und während sich das Wasser innen noch etwas drehte, trank ich meinen ersten Schluck an Bord dieses fremden Gefährts. Allah sei Dank! Ein kleiner Schluck für mich, ein großer für..., - aber mir fiel kein passendes Zitatende für diese Abwandlung ein.
Durch solche Gedanken bekommt man Sehnsucht. Ich untersuchte weiter, um mich davon abzulenken. Ich stellte das Gefäß zurück und erwartete, daß es umkippte. Zu meiner Verblüffung begann es jedoch sofort, erst langsam, und dann immer schneller, zu rotieren. In kürzester Zeit hatte es, soweit ich dies abschätzen konnte, seine ursprüngliche Drehzahl wieder erreicht. Diese stabilisierte das Gefäß, doch lag sie noch unterhalb der kritischen Geschwindigkeit, die das Wasser über den oberen Rand hinausjagen lassen würde. Ich hatte mich, wie viele von uns, einige Zeit mit verschiedenen Energiesystemen beschäftigt - gezwungenermaßen, als es nur noch verstrahltes Öl gab und der Strom täglich immer öfter ausfiel. Jedenfalls gab es darunter ein ähnliches Rotationssystem, das allerdings innerhalb des planetaren Schwerefeldes operieren sollte - und an dessen Funktion die einflußreichen Wissenschaftler nicht glauben wollten. Und ohne deren Meinung hätten die Scheichs nicht einmal ein müdes Kugellager für Versuche herausgerückt! Das Gefäß, das vor mir rotierte, entsprang allerdings auch nicht dem Denken eines terrestrischen Fachmanns für Hydrodynamik, obwohl ... in meiner Lage hätte ich sogar die Anwesenheit eines dieser Tempelwärter der Energiesätze begrüßt, sei es auch nur, um mich an der Vergeblichkeit seiner Beweisführung, daß es ‘so etwas’ nicht geben könne, zu ergötzen!
Auf der Oberfläche des nun wieder mitrotierenden Wassers bildeten sich winzige Wellen und Wirbel, die immer feiner und kleiner wurden, um sich zuletzt mit dem Attraktorwirbel zu vereinigen. Die Erschütterung des Anhebens und Zurückstellens, dazu die fest unfühlbare Vibration des Flugkörpers und der Rotationsimpuls ergänzten sich kurzzeitig zu fraktalen Gebilden, die mich in der nächsten Zeit noch oft faszinieren sollten. Ich habe das Fernsehen nie gemocht, besonders nachdem es fast nur noch religiöse Sendungen gab - hier hatte ich eine angenehme Alternative gefunden.
Ich riß mich von dem hypnotischen Strudel weg und wandte mich nach rechts. Etwa zwei Schritte entfernt befand sich ein tiefer gelegenes Loch, Probehalber krümelte ich etwas Flaum aus meiner Jackentasche hinein, er verschwand spurlos. Meine Hand wagte ich nicht hineinzustecken, ich erinnerte mich noch zu gut an einen illegalen Film namens ‘The Fly’, in welchem ein verrückt-genialer Erfinder (diese Gattung ist inzwischen übrigens ausgestorben) auf den Trick mit dem Materietransmitter kommt. Als er seinen Transfer macht, befindet sich zufällig auch eine Fliege bei ihm, und am anderen Ende kommt ein ungeheuerliches Mischwesen heraus. Ich hatte bestimmt noch einiges vor mit meiner Hand, doch der Sinn der Öffnung war nun eindeutig, nicht daß mir dadurch besser wurde. Jedenfalls brauchte ich mir keine sanitären Sorgen zu machen, was ich auch sofort ausnutzte, um meine Blase zu entleeren.
Um das Trio meiner Entdeckungen zu komplettieren, sprang auf leichteste Berührung ein ovaler Deckel über einer weiteren Ausbuchtung auf - in welcher ein Hamburger lag. Deja vu? Vielleicht klingt es albern, aber in dem Moment, als mich das so definitive Restprodukt unserer restglobalen Reste-Eßkultur anschaute, kamen mir ob meiner Lage die Tränen, in die sich halbirres Kichern mischte - jedenfalls so lange, bis ich mir den Mäck zwischen die Zähne schob, um sie am Klappern zu hindern. Meine Hoffnung auf einen interplanetarischen positiven Kontakt war dahingeschmolzen wie ein Supraleiter im Sonnenofen. Niemand, aber auch niemand würde seinem Gast ausgerechnet so etwas wie einen staatlich subventionierten Hamburger anbieten. Ich fühlte mich als Tier behandelt, was im Vergleich zum technologischen Niveau meiner ‘Reiseleiter’ vielleicht auch stimmte. Jedenfalls war ich zutiefst gedemütigt. Knurrend mampfte ich das mir zugedachte Mastfutter, trank einen Schluck Wasser - gelobt sei Allah - und setzte mich fluchend und grübelnd wieder auf den Boden.
Ich mußte ruckartig eingeschlafen sein, denn ich träumte, ich säße wieder am Steuer der alten Karre und würde angestrengt durch die späte Dämmerung nach vorne stieren. Plötzlich kracht etwas vor mir auf den Kiesweg, und ich schaffe es gerade noch, die ausgelutschten Bremsen hart genug zu treten, um nicht voll in das seltsame Gefährt zu knallen, das so unerwartet vor mir niedergegangen ist. Ich bin überrascht, daß ich keinerlei Schäden an dem Apparat feststellen kann und überlege, ob es wohl doch in dieser abgelegenen Ecke des Landes eine noch abgelegenere gibt, in welcher unsere ‘glorreiche Armee’ (ahem) eine streng geheime Experimentalstation für Flugscheiben versteckt hält. Gelesen hatte ich über derartiges schon des öfteren, eine Bestätigung jedoch haben weder ich, noch einer der neugierigen Journalisten bekommen, und ebensowenig Dementis. Der Traum bekommt eine seltsame Luzidität, als mir bewußt wird, daß ich träume. Ich starre noch immer gebannt auf den seltsamen Apparat vor mir auf dem Kiesweg. Könnte es vielleicht ein wirkliches UFO sein? Ich habe mein Leben lang zwischen Glauben und Unglauben geschwankt, ob es sie überhaupt gibt. Lange nächtliche Gespräche und Dutzende verbotener Bücher - aber nie Gewißheit. Aber ich denke doch, daß ich träume? Oder ist es umgekehrt? Aus dem Hinterkopf flüstert ein Uralt-Programm von einem gewissen Castaneda, “...schau auf deine Hände...”, und während ich den langsam im Scheinwerferlicht sich senkenden Staub beobachte (wo ist das UFO?), versuche ich, die Handlung des Traums zu übernehmen, um wenigstens aus dem schräg zum Stillstand gekommenen Wagen auszusteigen - und wache auf.
In dem Raum hat sich anscheinend nichts verändert. Ich klatsche mir Wasser ins
Gesicht und reibe mir die Augen, bis ich Muster sehe. Der Traum ist noch sehr
klar, zum ersten Mal sehe ich das UFO - es muß eines sein - von außen. Das Licht
der trüben Funzeln am Auto wird vom Gestrüpp und Wildwuchs am Rande des Schotterweges
zwar fast geschluckt, doch das matte Metall (?) des Flugkörpers reflektiert gerade
noch genug, um seine allgemeine Form erkennbar werden zu lassen. Ich überlege,
ob ich mir diese Form selber ausgedacht habe, oder ob sie mein Unterbewußtsein
aus den Bildern der Schrecksekunde vor dem Aufprall rekonstruiert hat. Da ich
keine Entscheidung darüber treffen kann - jedenfalls nicht, solange ich hier
wie ein Tier eingesperrt bin -, bleibt mir nichts anderes übrig, als die geträumte
Form als Ausgangsbasis weiterer Überlegungen zu akzeptieren. Und unter der aufspringenden
Klappe ist wieder ein Hamburger.
Ich beobachte die Wasserwirbel nach dem Trinken und entdecke in jeder Sekunde neue Muster. Ich versuche, die Auswirkungen meiner Situation zu überblicken. Irgend jemand wird das eingedellte Auto finden, aber wann? Ich bekomme einen Schreck, als mir einfällt, daß der bzw. die nächste, die den Kiesweg entlang fahren wird, meine Frau mit den Kindern sein wird. Und anstatt das gemütlich angewärmte Haus vorzufinden, mit einem konzentriert tippenden Ich darin, begegnet ihr der geliehene beschädigte Wagen mitten auf dem Weg. Sind etwa Blutspuren an der Scheibe? Ich habe keine Beule gespürt und auch keine Wunde. Eine spiegelnde Oberfläche gibt es nicht, auch das rotierende Wasser reflektiert nicht genug. Ich versuche, das Gefäß in den Händen zu halten, bis das Wasser sich beruhigt, doch mehr als ein verschwommenes Phantom bekomme ich nicht zu sehen.
Die Vibration hat sich in der ganzen Zeit kein einziges Mal geändert, jedenfalls nicht, solange ich wach war. Meine Frau würde die Umgebung absuchen und sich fürchterliche Sorgen machen. Im Moment mache ich mir fürchterliche Sorgen - und genauso fürchterlich nutzlose. Sollte ich doch randalieren? Ich benütze das ‘Klo’, nicht einmal ein leichter Geruch bleibt. Toilettenpapier brauche ich keines, als Moslem obliegt mir das Waschen mit der linken Hand, danach natürlich die Reinigung der Hände. Was hätte ein ‘Westler’ an meiner Stelle gemacht? Es ist schwer, das Gefäß mit nur einer Hand zu halten, und ich vermisse Seife - aber wer gibt einem Affen schon einen Kulturbeutel?
Jedenfalls beginnt der Affe, Platzangst zu kriegen. Bin ich denn überhaupt noch
in dem UFO? Sind die Vibration und der leichte Schwindel vielleicht ganz anderer
Herkunft? Sind wir etwa schon längst auf dem Heimatplaneten der fremden Geschöpfe
- und ich im Zoo abgeliefert in einer Einweg-transparenten Kapsel? Paranoid versuche
ich irgendwelche Indizien dafür zu finden, doch es gibt weder Anzeichen einer
Tür, noch irgendwelcher Beobachtungsgeräte. Würde ich sie, vorausgesetzt, ich
hätte überhaupt etwas gefunden, identifizieren können? Woher kommt die Luft,
die ich atme? Monster mit Superaugen, die dicksten Stahl durchdringen, wechseln
in meiner aufgedrehten Phantasie mit Künstlichen Intelligenzen, die nur aus Silizium
bestehen. »Ist da draußen jemand?« schreie ich zum ersten Mal und mit wirklicher
Verzweiflung, doch die verfluchte Weichheit des Raums schluckt die Schallwellen.
Mir ist inzwischen jeder Witz vergangen. Stundenlanges Grübeln und Überlegen
bringt mich nicht weiter, außer essen und trinken kann ich nichts tun. Ich lese
die Adressenliste aus meiner Geldbörse, mehrmals, lasse unvernünftigerweise etwas
Kleingeld in das Loch fallen (es klimpert nicht mal) und werde zunehmend nervöser.
Zum ersten Mal mißfällt es mir, daß ich keine Uhr trage, schon seit meiner Jugend
nicht - aus Prinzip. Jetzt weiß ich in dieser Konturenlosigkeit die Zeit nicht
abzuschätzen; bin ich schon lange hier? Wie lange habe ich geschlafen? Wie lange
war ich bewußtlos? Ich meditiere vor dem drehenden Wassergefäß, dessen Niveau
nach dem Trinken stets wieder das ursprüngliche ist. In einem Anflug von Kühnheit
schütte ich das Gefäß in dem Loch aus und warte darauf, daß es sich wieder füllt.
Ich möchte sehen, wie das funktioniert. Zu meinem Erschrecken rotiert es leer
weiter. Hat der Affe eine Strafe verdient? Ich spiele in Gedanken auf meinem
Synthie, arrangiere und verbringe Stunden um Stunden mit eingebildetem Training.
Aziz hat zwar im Moment keine neuen Ideen, aber er steigt gerne auf mich ein.
Maroine zupft am Baß, etwas farblos. Es kommt keine Stimmung auf, die Geister
die ich rief sind nicht besonders kreativ. Ich döse vor mich hin.
Diesmal umfängt mich eine seltsame Vorahnung, als ich den Kiesweg entlangfahre, ich fühle mich elektrisiert, aufgeladen. Ich erinnere mich, beim letzten Mal auf dieser Strecke fast eingeschlafen zu sein, aber ich weiß nicht mehr, wann es das war - das letzte Mal eben. Draußen ist es schon fast dunkel. Die Hochtöner bringen den Synthie-Sound nicht besonders gut rüber, denke ich. Als der Schrei von Jack einsetzt, merke ich erst Bruchteile später, daß ich es bin, der schreit, und nicht Jack. Eine monströse Masse hat sich über den Wagen gestülpt und drückt ihn unnachgiebig flach. Vor dem Schmerz und bevor mir die Sinne schwinden schaffe ich es gerade noch, zwei Gedanken zu denken: ‘Jetzt gibt es keine Musik mehr...’ und ‘...es ist verdammt eng hier’.
Schweißgebadet wache ich in meinem Käfig auf. Das Gefäß ist wieder voll, gepriesen sei der Allmächtige. Nachdem der Traumnachhall verebbt ist, wasche ich mich. Schuhe und Strümpfe habe ich längst ausgezogen, die undefinierbare Temperatur hier drinnen würde sogar das Nacktsein erlauben, aber ich habe noch immer paranoide Schübe und fühle mich beobachtet. Vielleicht entspringt das aber auch nur einem letzten Rest an Selbstwertgefühl. Doch ich beginne langsam zu verzweifeln.
Hat sich die so leise singende Vibration verändert? Wahrscheinlich klingeln nur
meine Ohren. Wenn ich laut singe oder rufe, klingt es dumpf, wie bei Unterdruck.
Ich verscheuche alle Geanken an meine Familie, an das Haus, an den ganzen verflixten
Planet. Wenn ich mir nur irgendeine Aufgabe stellen könnte. Von einem UFO entführt
zu werden, hatte bisher - zumindest in der ganzen verpönten Literatur - doch
immer den Beigeschmack von Abenteuer und Erlebnissen gehabt, es gab vielleicht
Kämpfe, Verhandlungen und schließlich wilde Friedensfeste - oder Planetenkriege.
Aber daß man sich in keiner Weise um mich kümmerte, mir sozusagen mit der linken
Hand (?) ein Schälchen Wasser und einen Happen zum Fressen hinwarf, dies machte
mich mürbe.
Konnte das Ganze eine Inszenierung unserer teuflischen Mullahs sein? Hatten sie eine neue Art der psychischen Folter entdeckt, die sie an mir ausprobieren wollten? Zum wiederholten Male inspizierte ich den Raum und versuchte, auch nicht den kleinsten Winkel außer acht zu lassen, doch vergeblich. Ich bekomme meine Grundbedürfnisse gestillt, aber mehr auch nicht. Nein, die Materialien und die Technik waren fremd. Ich mußte nur auf die Meinung meiner Haut hören. In dieser Plastikblase eingeschweißt würde ich es vermutlich überhaupt nicht merken, wo und wann man mich an die interstellare Mustersammlung für unterentwickelte Spezies übergeben würde. Denn diese Zukunft erschien mir nun so gut wie sicher.
Ich versuchte mit mir selbst Schach zu spielen, kam aber über die ersten 4 oder 5 Züge nicht hinaus, dann wußte ich schon nicht mehr, wo meine Figuren standen oder welche es überhaupt waren. Die Liedtexte brachten auch nicht viel, nachdem ich sie zum hundertsten Mal gegrölt hatte und man mich trotzdem nicht hinauswarf. Also wandte ich mich dem Koran zu. Nicht daß ich allzu viele Suren auswendig kannte, aber die paar, die mir geläufig waren, wurden denn auch ausgiebigst genutzt. Ich überließ mich eine Zeitlang dem Trost der heiligen Worte, doch meine Gedanken irrten immer wieder ab.
Nach dem obligatorischen Hamburger setzte ich mich vor das wirbelnde Gefäß auf den Boden. Ich hatte herausgefunden, daß es sich überall drehte, egal wo ich es hinstellen mochte. Aus meiner Erinnerung kramte ich alles heraus, was ich jemals über Transzendenz gehört hatte. Doch ich stellte mir selbst damit eine Falle, denn statt im Samadhi landete ich in dem rumpelnden Auto und überlegte mir, wie wir uns wohl für einige Monate zum Üben hierher zurückziehen könnten, und ob Aziz solange Urlaub von seiner Wiederaufbau-Universität am Golf bekommen würde oder ob Maroine nicht besser die zweite Stimme (statt mir) übernehmen sollte und wir uns statt dessen einen etwas jüngeren Bassisten holen sollten, der dann wenigstens haargenau das macht, was man von ihm verlangt, und nicht immer mit eigenen Vorstellungen unsere gerade reifenden Versuche wieder über den Haufen wirft.
Dabei würden wir mit ausreichendem Training wirklich was auf die Beine stellen können, jedenfalls waren wir eingebildet oder selbstbewußt genug, das zu meinen. Aber die Zeit... die Zeit...
Hier brachen meine Gedanken ab, denn im Rückspiegel blinkte etwas durch das vergehende
Tageslicht, das ich zuerst für einen Schemen meiner übermüdeten Augen hielt.
Doch irgendwie zog es meine Aufmerksamkeit wieder ab von der Straße und von der
Musik. Ich bremste und drehte mich nach hinten, konnte jedoch außer
dem schwachen Glimmen der Rücklichter nicht viel erkennen. Nervös kramte ich
im Wagen nach einer Taschenlampe, fand jedoch nur einen Plastik-Schrumpfkopf,
vergilbte Zettel und jede Menge Werkzeug - na, immerhin. Also versuchte ich zu
wenden, was wegen dem relativ schmalen Schotterweg nicht ganz so einfach war.
Noch während ich angestrengt kurbelte und innerlich dabei meine Neugier schalt,
bekam ich das seltsamste Objekt meines Lebens in die schwachen Kegel der Scheinwerfer.
Ich dachte immer, daß in der Nähe von UFOs alle elektrischen Geräte ausfallen
würden, doch diesmal schien es eher umgekehrt zu sein. Ich war mir gewiß, daß die
Jungs in der fliegenden Eieruhr, die so knapp hinter mir eine erstklassige Notlandung
gemacht hatten, dicke Probleme hatten. Ich stieg aus dem Wagen und machte einen
Schritt auf daß Gefährt zu. Die müssen perfekte Notsysteme haben, um derartig
exakt und ohne jeden mir ersichtlichen Bruch, ja sogar ohne Lärm, heil herunterzukommen.
Konnte ich ihnen vielleicht doch helfen? Im Haus gab es einen Generator und ausreichende
Menge schwarz besorgten Treibstoffes, außerdem gab es ein wesentlich angenehmeres
12-Volt-Netz, dessen Batterien mittels Solarpanelen und einem kleinen Al-Majed-Windkonverter
meist voll aufgeladen waren, wenn jemand von uns hier heraus fuhr. Ich wagte
noch einen weiteren Schritt, doch der schien ‘ihnen’ einer zu weit zu sein. Die ‘Jungs’ hatten
bei Allah noch genügend Energie - und die pumpten sie mir in einem einzigen Blitz
in den Schädel. Ich wachte auf.
Diesmal blieb ich einfach liegen, versuchte der Vibration nachzugehen, suchte
in erdachten Korridoren und blinkenden Cockpits nach der Crew, nach Passagieren,
nach anderen Opfern oder wenigstens nach den Maschinen, die das wundersam-schreckliche
Gefährt antrieben. Die Träume bekamen langsam ein Muster, doch es gab mir zu
viel verschiedene Versionen. Warum mußte ich auch mit dem verfluchten Teil zusammenstoßen?
Nicht das billigste Untergrund-Blättchen würde
mir meine Geschichte abkaufen. ‘Weltflüchtiger Schriftsteller in Auffahrunfall
mit UFO verwickelt!’ - nein, eine derartige Schlagzeile würde es nie geben. Aber
was war mit den Träumen? Waren meine Träume denn überhaupt meine Träume? Daß mich
der Unfall immer noch stark beschäftigte, wollte mir zwar einleuchten, war doch
das Resultat äußerst bedrückend, aber diese verschiedenen Versionen hatten keinen
logischen Grund, ganz gleich wie ich sie auch miteinander in Bezug zu setzen
versuchte. Allein schon die schier unmögliche Synchronizität, daß mir das UFO
sozusagen aufs Autodach gefallen war..., eine derartig unrealistische Sache kann
nur ein Traum sein - und ein schlechter obendrein.
Nach dem Hamburger (volle Kühlkammern? synthetische Herstellung?) und einigen ordentlichen Schlucken begann ich an die Wände zu klopfen und zu schlagen. Es klang überall gleich. Als Percussionsinstrument taugte das UFO weniger als ein toter Fisch. Beim Leben des Propheten, was würde ich jetzt für einen Tee geben! Ich sagte die 20 Suren auf, die mir zwischenzeitlich eingefallen waren, sprang etwas umher und überlegte, ob ich wohl ein richtiges Fitness-Programm einführen sollte, Schattenboxen, schwedische Übungen, vielleicht Tai Chi. Aber mir fehlt einfach die Hartnäckigkeit bei solchen Sachen, ich gebe zu schnell auf - verwöhnt durch das relativ bequeme Leben, das wir trotz aller Einsparungen und Stromabschaltungen führen..., nein führten, korrigierte ich mich.
Statt dessen summe ich tausend Melodien, versuche Harmonien zu der allgegenwärtigen
Vibration zu finden, die mir immer noch sehr schnell vorkommt. Es ist fast unmöglich,
einen Rhythmus darüber zu setzen. Ich puste über die Oberfläche des Wassers und
versinke in den Spiralmustern, die entstehen, wenn ich leicht gegen das rotierende
Gefäß tippe. Auch hier spiele ich Rhythmen, versuche Wiederholungen und Folgen
zu produzieren. Aber die Unabänderlichkeit meiner Lage nimmt mir die Freude an
jedem Erfolg. Ich habe Angst davor, mit mir selbst zu reden, erinnere mich an
längst vergessen geglaubte Dinge und bekämpfe mit viel Mühe meine latente Trägheit,
die in diesem zwingenden futuristischen Ambiente zur Entfaltung drängt. Ein Königreich
für einen Fernseher! ...bin ich schon so weit gesunken?
Aber es gibt einfach nichts, was meine Phantasie und meine Kreativität anregen könnte, keine Herausforderungen und auch keine Möglichkeit, einen der unendlich vielen Gedanken festzuhalten, die sich jäh durch meinen Kopf wälzen. Bilder von wilden Tieren im Zoo, lethargisch geworden durch die regelmäßigen Fütterungszeiten, gelangweilt von dem ewig gleichen Umfeld, gähnende Hyänen und schlafende Löwen fallen mir ein.
So viele Pläne und Möglichkeiten, so viele ungeschriebene Bücher und ungespielte
Songs. Ich kann sehr aktiv und sogar sehr produktiv sein, sobald ich mit den
richtigen Leuten die richtigen Sachen zusammen mache. Allein gelassen, standen
mir immerhin stets Berge an unerledigter Arbeit zur Seite, waren es nun die monatlichen
Finanzabrechnungen, die Komiteeberichte oder der nie versiegende Strom an kleinen,
aber notwendigen Reparaturen, die überall im Haushalt und sonstwo anfielen. Dann
wollte ich doch schon so lange mal das ... und wegen dem ... sollte ich doch
noch die ... aber - ach ja - wichtiger war noch ... und so weiter und so fort.
Das Panta-rhei des täglichen Lebens, genauso wie dieser uralte Wagen hier, ich
müßte da mal dringend die Hand anlegen. Vielleicht hatte ich ja sogar noch
irgendwo ein paar versteckte echte Halogenbirnen herumliegen.
Nun war es nicht mehr weit, das Wackeln beim langsamen Fahren über den Schotter konnte einen leicht einlullen. Ich blickte angestrengt nach vorn, schon reichlich müde von der Fahrt und dem Schlafmangel der letzten Nächte. Die trüben Lichter fraßen sich über den Weg, das Laufwerk eierte, und irgend etwas zupfte von hinten an meiner Aufmerksamkeit. Nach der nächsten Kurve würde ich den Abhang sehen können, an welchen sich das Haus anschmiegt, halb hineingebaut. Aber vielleicht war es auch schon zu dunkel dafür. Ich wollte gerade in den Rückspiegel schauen, als der urplötzlich einsetzende tollwütige Schrei von unserem Sänger Jack Sakaian meine Fahrigkeit zerriß und mir einen vollen Adrenalinstoß versetzte. Mir schien sogar das Licht der Scheinwerfer stärker zu werden, und ich mußte laut auflachen. Junge, Junge..., der richtige Manager (mit guten Beziehungen zum Religionsministerium!) und etwas mehr Ehrgeiz von uns müden Opis - und wir würden die ganze Post-Metal-Szene hinweg fegen!
Grinsend rollte ich die letzten Meter bis zum Gatter, sprang aus dem Auto und
bekam fast einen Hustenanfall von der kalten und würzigen Luft. Ich stellte den
Wagen an die Seite des Hauses und kümmerte mich erstmal um die Energiestation.
Die Batterien zeigten etwas geringere Werte an als üblich, aber es hatte des öfteren
geregnet - Allah sei Dank -, und die Panele wurden schließlich auch jedes Jahr älter.
Doch ich brauchte nicht den Generator anzuschalten, und das war mir das Wichtigste.
Ich mußte gähnen, und mit einem schmerzenden ‘Plopp’ gingen meine Ohren auf. Die Geräusche des knackenden, sich abkühlenden Fahrzeugs waren die letzten, die mich jetzt noch mit der Stadt verbanden. Ich schloß in der Dunkelheit die Augen, nachdem ich mich fröstelnd vor den Anbau gesetzt hatte, in dem die Batterien untergebracht sind. Irgendwo in mir verspürte ich ein Summen, eine feine Vibration, und in den Ohren rollte noch der Hall von Jacks Song. Erinnerungen verwebten sich mit der umfassenden Stille, die mich jedesmal wieder aufs neue überrascht und fasziniert. Das Käuzchen, das mich mit seinem plötzlichen Ruf erschreckt, scheint ein Signalgeber für die Natur ringsum zu sein, denn nun beginnt es zu zirpen und zu rascheln, zu piepsen und zu flattern. Weit entfernt ertönt ein helles Summen, dann ein Knall, und für einen kurzen Moment ist alles wieder ruhig. Doch meine Ohren sind auf, das Leben dringt ein, und ich fühle mich geborgen. Seltsame Ideen und Gedanken hatte ich in meinem dösigen Zustand während der Fahrt gehabt, irgend etwas von Raumschiffen und Wasserwirbeln ... und von dem konzentrierten Einsatz unserer Musik. Sollte diese langsam sich erholende Welt etwa auf ewig den Scheichs überlassen bleiben? Wir würden...
Doch die Dunkelheit ließ alle Gedanken verstummen.
Ich schloß auf und begann meine Sachen ins Haus zu tragen.
Originaltitel: Ahlam ma kable hulul al-Lail
Copyright (c) 1989 by Ghassan Homsi (Originalausgabe)
Copyright (c) 1989 der deutschen Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München; erschienen in: 'An der Grenze' - Internationale Science Fiction Stories
Aus dem syrischen Arabisch übersetzt
von Ahmad M. Al-Khammas
|