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Lichtblicke im Rückspiegel - geblendet schloß ich die Augen

In diesem Artikel geht es um einige Erinnerungen aus dem Umfeld der späten 60er Jahre - so z.B. um die "Haar-Verfolgungen in Syrien 1967-1969" und ähnlich weltbewegende Dinge ;-))


Lichtblicke im Rückspiegel - geblendet schloß ich die Augen

von Achmed A. W. Khammas


Impulsiv wollte ich hier den Schulaufsatz "Mein erster Trip" (Hofmann sei Dank) schreiben, zweifelte dann aber doch an der Allgemeinwirklichkeit dieser individuellen strahlenden Erleuchtung in der Passage Kranzler am Kurfürstendamm. Obwohl, romantisch ist gar kein Ausdruck für das, was damals (und noch lange später) ablief. Die reine Minne! Weit offene Sinne: die Töne und Farben, die dann psychedelisch hießen ... das feurige Glühen, das sich schlangengleich das Rückgrat empor wand, um im tausendblättrigen Lotos der Gehirnwindungen zu Explosionen der Lust und Liebe zu führen...

Doch war das alles zu persönlich, selbstbezogen, wirkte wohl kaum nach außen, kaum in die Breite.

Nein, viel wichtiger erschienen mir plötzlich Fragmente der "Memoiren eines HOBO-Handverkäufers" - die ich sogar Weltexklusiv anbieten kann! Die HOBO war immerhin landesweit die erste Stadtzeitung (erst sehr viel später wurde daraus ZITTY). Deshalb wichtig, weil das sogar Jörg Mettke in seinem dunklen Artikel über die Anfänge der Alternativ-Literatur zer(r)SPIEGELt hat, sprich: nicht erwähnt. Dabei gehörten Per-Jörg Meschkat, (das) Kris und meine Wenigkeit nun wirklich zu den glorreichen Vorreitern des lokal-informativen Druckwerkes - selbst der TIP kam erst eine Woche später auf den Markt!

Aber interessiert das alles den Leser außerhalb der Frontstadt? Also noch weiter zurück (obiges spielte sich nämlich Anfang der 70er Jahre ab).

Die BEATLES! Natürlich fing alles mit den Beatles an. Olle Paule soll sich ja zwischenzeitlich auf dem besten Wege zum "reichsten Mann der Welt" befinden... und das ohne Waffenschiebereien und Heroinhandel! Leute, kann ich nur sagen, nehmt Euch ein Beispiel daran. Jedenfalls hebelte mich die Musik aus meiner tristen Pfadfinderwirklichkeit und zeigte mir ganz andere Wege, meist nicht gerade linearsymmetrischer Natur.

Mitgerissen haben auch die satisfaktionslosen Stones, Herrmanns Eremiten und wie sie alle noch hießen. Bald kämpften wir (auch in Damaskus) um eine jede Haarsträhne, welche uns jedoch wiederholt von Polizei, Geheimdienst, Schuloffizieren oder gar vom Direx persönlich und ritualvollziehend abgesäbelt wurde.

Der russische Jeep rast um die Ecke, bremst quietschend. Die überraschten zitternden Langhaarigen werden umstellt, Ausweiskontrolle. Fransen, etwas über den Ohren, oder gar eine Tolle bedeuteten "Mitkommen" - manchmal zum Frisör, oft zur Wache, Radikalschnitt. Mädchen mit Mini bekamen ihre Beine mit leuchtenden Sprayfarben verziert, Twisthosen wurden aufgeschlitzt. "Die Haar-Verfolgungen in Syrien 1967-1969", sie endeten im weiträumigen elterlichen Salon bei einer Flasche guten Whiskeys (die mein Vater stiftete, bevor er das Weite im Kaffeehaus suchte) und einer illusteren Gesprächsrunde aus angehenden Freaks, ehemaligen Ministern und Redakteuren der staatlichen Monopolzeitungen (es war zwar nur jeweils ein - inzwischen auch leider verstorbener - Minister und nur ein Redakteur... aber im Text sieht es im Plural einfach viel besser aus!). Man einigte sich darauf, daß die langen Haare keineswegs einer imperialistisch-zionistischen Verschwörung entsprangen und pfiff die Schergen zurück. Danach machten lange Haare jedoch viel weniger Spaß.

Nun konnte ich mich endlich um den Aufbau eines Schallplattenladens kümmern - das Abitur hatte ja nun wirklich nicht meine Aufmerksamkeit gepachtet. "Blow up - eine syrische Karriere". Der Name stammte aus dem tollen Film von Michelangelo Antonioni (mit David Hemmings und Vanessa Redgrave, beide noch knackig), und die LP's und Singles wurden nächtens von Sympathisanten im Deuxieme Bureau unkontrolliert und unzensiert über die Grenze herbei gefahren. Im lichten Libanon - damals noch die ‘Schweiz des Orients’ - wurden die Scheiben semmelfrisch gepreßt, im verschlafenen Damaskus waren sie bis dahin absolut unbekannt. Entfernung per Auto: 120 km. Und doch trennten uns Welten, die es zu überbrücken galt. Es klappte auch ganz hervorragend: Die neuesten Platten wurden auf das aktuelle Medium Kassette raubkopiert (no GEMA here) und diese dann, entsprechend verbilligt, verkauft. Erstmals hörte die Damaszener Jugend den wirklichen Rock. Und wie das losging! Heute leben mindestens einige hundert Familien vom Raubkopieren und Vertreiben der aktuellsten Scheiben oder CDs..., nur daß es auch dadurch noch immer keine Szene hier gibt, weil der Staat immer noch Muffensausen bekommt, sobald mehr als drei Jugendliche (womöglich in weiblicher Begleitung) am gleichen Platz zusammenstehen. Keine Discos, Pubs, Treffs oder Clubs. Keine familienübergreifende Kommunikation. Was auch (zumindest bisher) äußerst gut geklappt hat.

Ein wichtiges Fragment? Ähnliches gibt es vermutlich aus allen Ländern der dritten Welt zu berichten. Warum also nicht die Erinnerung vortragen, die sich am meisten mit jener Zeit verknüpft..., obwohl wir damit wieder im Jahre 1973 landen würden?!

Erinnert Ihr Euch? "Der erste FAHRFREIE Sonntag"! Gesegneter Ölkrieg, luftfrische Stadt. Die Idee zur Demo hatte Freund Mumtaz aus Damaskus, der sich damals gerade in Berlin aufhielt. Die "100 Blumen" (SEHR psychedelisch-romantische Berliner Underground-Zeitung. Wäre alleine schon einen langen Extra-Bericht wert!) um Klaus Bernhard und (was für!) Konsorten entflammten sich begeistert - ganze drei Tage vor dem Stichtag. Und trotzdem wurde es die tollste Demo seit ..., ja seit wann? Und seitdem?? SF-Beat und Rias-Treffpunkt sandten die Message aus. In Rundumschichten wurden Flugblätter entworfen, gedruckt und noch händeschwärzend verteilt bzw. verklebt. "Bringt Eure Kinder, Omas, Luftballone, Haustiere, Rollschuhe, Paddelboote... (usw.) mit. Es wird gefeiert!"

Ein Teil des Kudamms wurde sogar für den noch laufenden Taxi- und Busverkehr gesperrt. Doch statt der erwarteten einigen Hundert kamen zig Tausende. Des Tages schrieben die Blagen: "die Straße gehört uns" auf den sonnenbeschienenen Asphalt (am 13. November!), während ich, vermummt als waschechter Araber, mit einem militärisch-oliven Reserve-Benzinkanister im Würgegriff auf meinem alten Rennrad von Zeit zu Zeit den Damm auf und ab raste, spontane und teilweise wirklich tolle Reaktionen auslöste, wie zum Beispiel als der Kassierer eines vollbesetzten Trottoire-Kaffees plötzlich hinter mir her hetzte, dabei herzerweichend "Benzin, Benzin ..." schrie und mir, als ich mißtrauisch endlich anhielt, seine fette Geldkatze entgegenstreckte. Dafür schnappte er sich herrisch den Kanister. Die gebannten Zuschauer bildeten einen stillen Kreis um uns. Dann ein kurzes Hin- und Hergezerre, doch keiner läßt los. Wir schauen uns mit bitterbösen Mienen an, die Augen nur lachen... Ich reiße meinen Kanister los und trete wie der Teufel in die Pedale. Er ruft nochmals schluchzend nach seinem Lebenssaft - und war Sekunden später schon wieder beim Kassieren. Nun erst lacht das Publikum. Es klingt ‘befreit’.

Die Straße. Ich finde, da war die Psychedelik zu Hause. Die bunte Kreide hatten wir aus TU und FU geklaut. Das war wahrscheinlich auch psychedelisch. Jedenfalls hat es einige hundert Kinderherzen glücklich gemacht - statt Studentenköpfe mit undurchsichtigen Formeln zu verkleistern.

Abends brannte seit dem Krieg zum ersten Mal wieder ein FEUER auf dem Kurfüstendamm. Ein umtanztes Feuer, dazu pulsierende Urrhythmen auf Metallcontainern und Mülltonnen. Ein Freudenfeuer, das alt und jung bis spät in die Nacht hinein vor den Löschversuchen der Feuerwehr zu schützen wußten.

Man stelle sich das einmal HEUTE vor!



Erschienen in: SOG, Spezial ‘Die späten 60er Jahre’, R. Matzker Verlag, Berlin 1992


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