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Das Wappen der Familie Khammas

Jerry Johnson - ein Interview

Ein fiktives Interview mit einem fiktiven Künstler, den ich allerdings persönlich gut kenne. Mit einem herzlichen Gruß an Scotty aus der ufafabrik !


EVERYBODY KNOWS

JERRY JOHNSON

Klar, ein Texaner, wie er im Buche steht. Sein Gang, sein Kinn und seine Fäuste. Dreht hier irgend jemand einen Marlboro-Spot ? Obwohl, wenn man genauer hinschaut, dann paßt weder sein blonder Bart, noch die gedrungene, kräftige Gestalt zur Welt des schönen Scheins. Nein - hier gibt es tiefere Qualitäten zu entdecken, überraschende und ungewöhnliche... in jeder Hinsicht !


JERRY, SEIT WANN BIST DU KÜNSTLER ?

Seit meiner Kindheit. Während die anderen sich ständig in den Ställen herumtrieben, und mit ihren Vätern von einem Rodeo zum anderen zogen, blieb ich lieber Zuhause und habe gemalt und geknetet. Seit jener Zeit war mir klar, daß wahre Künstler im Verborgenen wirken...

ABER ES WURDEN DOCH SCHON SO VIELE AUSSTELLUNGEN MIT DEINEN WERKEN GEMACHT, IN DEN STAATEN, IN JAPAN UND AUSTRALIEN - WARUM NOCH NICHT HIER IN EUROPA ?

Weißt du, ich habe nicht eine dieser Ausstellungen besucht - offiziell jedenfalls. Es hat keinen Sinn, wenn die Leute mein Gesicht mit meinen Werken in Zusammenhang bringen. Was soll das? Meine Werke sprechen für sich selbst, und ich will nicht, daß sich der Erfolg durch persönliche Sympathie oder Antipathie definiert !

ALSO WIRD AUCH HIER IN DEUTSCHLAND DEIN OEVRE SOZUSAGEN ANONYM AUSGESTELLT ?

Natürlich bin ich nicht anonym - nur meine Person selbst braucht kein Rampenlicht, um zur Wirkung zu gelangen. Andererseits bin ich immer daran interessiert, Meinungen und Bemerkungen zu den Kunstobjekten zu hören, die ich gemacht habe. Und ich bin bereit, auf Wünsche und Vorschläge einzugehen. Du kannst also wirklich nicht davon sprechen, daß ich mich verstecke !

WAS MEINST DU MIT WÜNSCHEN UND VORSCHLÄGEN ?

Nun, ich habe natürlich eine ausreichend entwickelte Phantasie, um mit Formen, Farben und Oberflächen wirklich schöne oder auch erschreckende Objekte zu gestalten. Wenn nun aber jemand meint, in sein Wohnzimmer paßt nur eine Textur in samtigem blau, oder in schreiendem Latex-Grün, dann würde ich ihm das gewünschte Objekt natürlich genau so verkaufen. Vielleicht kostet es dann etwas mehr, aber das sollte es ihm schon wert sein.

WIEVIEL KOSTEN DENN DEINE STÜCKE, ZUM BEISPIEL DIESER PHANTASTISCHE GOLDENE RAHMEN HIER ?

Der Rahmen ist eigentlich unverkäuflich, er ist eines der Stücke, für die mir schon über 100.000 $ geboten wurden. Willst du es haben ?

ÄH... NUN, ICH GLAUBE NICHT, DAß UNSER MAGAZIN VON MIR EINE DERARTIGE SPESENRECHNUNG AKZEPTIEREN WÜRDE.... LEIDER.

Die anderen Stücke kosten so zwischen 500 $ und 20.000 $ für diese kleineren Tischobjekte, und 250.000 $ für eine komplette Raumausgestaltung in Gold. Aber nicht nur das ! Wenn sich ein Sponsor finden würde, dann könnten wir leicht den ganzen Potsdamer Platz übernehmen - dagegen wäre die Verhüllung des Reichstages durch Jeanne-Claude und Christo wie ein Topfpflanze gegenüber einer Quadratmeile Amazonasdjungel !

DU MEINST DIE WILDHEIT, DAS UNDURCHDRINGLICHE ? EINE BEGEHBARE SKULPTUR IN DER GRÖßE EINES GANZEN STADTTEILES ??

Yeah, man ! Genau das. Stell dir vor, hunderte Kinder gehen darin verloren, ganze Horden von Sozialarbeitern und Polizisten krabbeln und kraxeln suchend auf titanischen Ausläufern des monumentalen Yigdrassil-Baumes herum, der das Sony-Center, die Debis-Zentrale und den ganzen Rest wie ärmliche Favelas erscheinen läßt. Vielleicht macht der Berliner Zoo mit, und wir können Papageien, Gnus und Affen loslassen ! Hey - wer will dann noch nach Disneyland ??

DA WIRD EINEM RICHTIG SCHWINDELIG, BEI DER VORSTELLUNG - PUH ! ABER AUS WELCHEM MATERIAL WÜRDEST DU DENN SOLCH EINE GIGANTISCHE INSZENIERUNG AUFBAUEN ?

Der besondere Schaum, mit dem ich bislang gearbeitet habe, wäre dafür zu teuer, außerdem ist seine Festigkeit begrenzt. Aber das US-Militär hat chemische Kampfmittel entwickelt, die absolute mechanische Bestleistungen erbringen. Wenn du einen Panzer damit besprühst, hast du Sekunden danach ein Kunstwerk, aus dem die Insassen mit Lasern herausgeschnitten werden müssen. Es ist völlig unschädlich, das Zeug, aber hart wie die Rocky Mountains. Wenn du aus einem Hubschrauber oder noch besser aus einem Luftschiff den Nebel zwischen zwei Hochhäusern verteilst, kannst du mit deinem Landrover über die entstehende Hängebrücke fahren !

DAS HÖRT SICH VIELVERSPRECHEND AN, HAST DU SCHON MAL MIT DEN ZUSTÄNDIGEN STELLEN GEREDET ?

Nein, erst muß das Geld auf dem Tisch liegen - denn dann lassen sich die eventuellen Gegenargumente viel schneller aus der Welt schaffen (lacht). Die meisten Bürokraten haben den Nachteil, daß sie sich eine derartige weltbewegende Inszenierung gar nicht vorstellen können - und den Vorteil, daß sie statt dessen oft bestechlich sind.

UND WIEVIEL SOLL DAS GANZE KOSTEN ?

Ich denke so an 50 Million $, schließlich müssen wir das Zeug danach ja auch wieder wegschaffen - das wird teurer als die Installation selbst. Oder es gefällt allen, und wir lassen es so, right ? Dann kann ich mir den Rest einstecken, also sag’ 50 Millionen $ !

KOMMEN WIR ZURÜCK ZU DEN AKTUELLEN DINGEN. WANN SOLLEN DEINE AUSSTELLUNGEN ERÖFFNET WERDEN ?

Bald, bald. Die meisten der Objekte sind schon hier in Berlin. Ich mußte sie aus verschiedenen Orten der Staaten hierher verfrachten lassen, das hat reichlich viel gekostet. Die letzten Stücke werde ich bei meinem nächsten Besuch selber mitbringen, der Frachtraum ist schon vorbestellt. Und natürlich mache ich auch noch in dieser hektischen, aggressiven und trotzdem so anziehenden Atmosphäre hier in Berlin einige Stücke. Ich bin selber darauf gespannt, wie die aussehen werden.

UND WO SOLLEN DIE AUSSTELLUNGEN STATTFINDEN. DU HAST JA IMMER IM PLURAL DAVON BERICHTET ?

In verschiedenen Galerien, Läden, Geschäften und Kneipen überall in Berlin. Ja, sogar in einigen Praxen und Büros werden Objekte ausgestellt. Und überall hängt eine Liste, auf der steht, wo das nächste Stück zu sehen ist.

ALSO EINE SCHNITZELJAGT ?

Nein, auf der Liste stehen alle Orte. Und die Liste hängt in allen Orten. Aber es ist ein neues Marketingkonzept, was ich selber entwickelt habe. Denn es bedeutet auch eine Gratiswerbung für alle diese Orte, an denen meine Objekte stehen oder hängen, weil die Ausstellungsbesucher viele, wenn nicht sogar alle sehen wollen.

DAS HÖRT SICH EHER NACH EINEM GESCHÄFTSMANN AN, ALS NACH EINEM KÜNSTLER, JERRY !

No, man ! Ich stamme aus einer Millionärsfamilie. Unter meinem Schlafzimmer befand sich soviel Öl im Boden, daß ich früher manchmal Albträume hatte, darin zu versinken... auch wenn mein Daddy immer sagte, das sei so tief im Boden, daß ich da nie ankommen würde.

WAR DIES DER GRUND, WARUM DU TEXAS VERLASSEN HAST ?

Ja, auch deswegen. Ich wollte nichts mit dem Geld - oder noch schlimmer, dem schwarzen Gold! - zu tun haben. Deshalb zahlt meine Familie mir zwar alle Spesen wie Hotels und Flüge - aber ich bekomme nicht einen Cent für Farbe, Folie, Schaum oder sonst etwas, was mit meiner Kunst zu tun hat. Da lassen sie mich schnöde hängen.

WILLST DU DAMIT SAGEN, DAß DU AUS DEINER FAMILIE AUSGESTOßEN WURDEST ? BIST DU NICHT MEHR ERBBERECHTIGT ?

Ganz so schlimm ist es nicht. Aber in Texas gilt nur der etwas, der in dem harten Geschäft mitspielt. Und das will ich nicht. Dafür haben die wiederum nicht das geringste Verständnis für meine Leidenschaft, für meine Kunst. Meine Mom sagt mir fast täglich am Telefon, daß ich endlich ein ‘good boy’ werden, und nach Hause an die Bohrtürme zurückkehren soll. Sogar meine Grandma stimmt ihr zu, dabei hatte ich die immer so lieb (schneuzt sich).

HABEN DEINE ERFOLGE SIE DENN NICHT UMSTIMMEN KÖNNEN ?

Nein, nicht einmal die Millionen, die ich durch Verläufe an verschiedene reiche Kunstsammler in Japan bekommen habe. Der Vorsitzende bei Mitsubishi ist ein Kunde von mir. Auf einer internationalen Energiemesse traf er zufällig meinen Vater - und weißt du, was der sagte ? Daß meine Kunst in Texas sonst nur in Kindergärten verbreitet sei !

ALSO DAS IST JA WIRKLICH HART. UND WIE STEHT ES MIT FREUNDINNEN, ODER BIST DU VERHEIRATET ?

Schon zwei mal, aber die Frauen wollten dann nach einer Weile, daß ich endlich Vernunft und einen ‘normalen’ Beruf annehmen soll. Und das war’s dann. Ich kann doch nicht deswegen aufhören Künstler zu sein. Aber das verstehen die Frauen nicht.

NUN, DANN BLEIBT MIR EIGENTLICH NICHTS MEHR, ALS DIR AUCH WEITERHIN - UND NATÜRLICH GANZ BESONDERS HIER IN BERLIN EINEN TOLLEN ERFOLG ZU WÜNSCHEN. UND NETTE MÄDELS MIT VERSTÄNDNIS GIBT ES HIER AUCH... ALSO, VIEL GLÜCK !

Thanks, man !!



Das Interview führte Achmed A. W. Khammas, im Berlin (März 1999)

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