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Das Wappen der Familie Khammas

Ich will meinen Diktator behalten!

Die Redaktion des Orient-Magazins ZENITH forderte mich mit Frühjahr 2011 auf, etwas über die aktuellen Entwicklungen in Syrien zu schreiben. Wozu ich im Grunde nichts zu sagen hatte - und schon gar nichts, was die Redaktion hören wollte. "Eben deshalb wollen wir, daß DU etwas dazu schreibst", meine daraufhin Chefredakteur Daniel Gerlach - und ich saß in der Falle.

Nun denn... trotz einiger Bedenken schrieb ich den gewünschten Artikel - der zur Überraschung aller nur positive Reaktionen erzielte. Leider hat sich die ZENITH derweil gewendet - und den Artikel auf ihrer Seite gelöscht. Auf Druck des Geldgebers Katar vielleicht?!


Ja zu Reformen! Denn diese sind in Syrien genauso wichtig wie anderswo. Zum Beispiel in Deutschland. Ich höre schon: Das kann man doch gar nicht vergleichen. Eben! Und genauso wenig kann man das hiesige mit dem dortigen ‚Demokratieverständnis’ vergleichen. Wobei Deutschland stolzgeschwellt so tut, als hätte es sich dieses komplett selbst erarbeitet. Ja, man war gewissermaßen beteiligt. Aber über lange Jahrzehnte wohl eher dadurch, daß man den Weg zu einer funktionierenden demokratischen Föderation mit viel, viel Blut eingefärbt hat. Und nicht nur dem eigenen. Immerhin, nach 1945 wurde ein anderer Weg beschritten, und ich bin der Letzte, der das seitdem Erreichte nicht achten und anerkennen würde.

 

Doch jetzt wollen auch die Menschen in den arabischen Ländern einen funktionierenden Parlamentarismus. Was eigentlich gar so nicht schwer sein sollte, denn Parlamente gibt es ja schon. Fast überall jedenfalls. Aber heißt das, daß auch das Umfeld schon existiert und funktionieren würde, sind erst einmal die fossilen Diktatoren verschwunden? Mal sehen, wie es in Tunesien weitergeht. Und in Ägypten. Wo die Kollateralschäden bislang wahrlich gering waren, auch wenn jeder einzelne Verletzte oder gar Tote einer zuviel ist.

 

Und nun Syrien. Wiege der Zivilisationen und Vorbild ethnischer und konfessioneller Pluralität. Mit Damaskus, der am längsten durchgehend bewohnten Stadt auf diesem Planten. Ich habe viele Jahre gebraucht um zu verstehen, was es heißt einen solchen evolutionären Joker im Blatt zu haben. Und um das wie zu begreifen, ihn dann auch auf der Hand zu behalten. Über Jahrhunderte, Jahrtausende. Unter wieder und wieder und wieder wechselnder Herrschaft, die auch oftmals von sehr weit her kam. Wie haben es die levantinischen Händlerdynastien bloß geschafft, letztlich jeden Besatzer zu überstehen? Nun, die Damaszener sagen beispielsweise: „Die Hand, die ich nicht schlagen kann, küsse ich.“ Wobei die Motivation zum Zuschlagen sowieso nicht besonders stark ausgeprägt ist – denn tote, ja auch nur verarmte Kunden (und dazu zählt prinzipiell auch jeder sogenannte ‚Feind’) sind als Handelspartner äußerst kontraproduktiv.

 

Die Assads stammen jedoch aus dem nördlichen Teil des Landes. Harte, karge Berglandschaften produzieren auch ähnliche Menschen. Daß sie konfessionell und ethnisch einer Minderheit angehören, haben sie dafür mit fast allen Syrern gemeinsam. Denn selbst die Mehrheit der Sunniten ist nicht homogen, sondern besteht aus Kurden, Tscherkessen, Turkmenen, Arabern und vielen, vielen ‚Mischformen’. So etwas wie ‚reinrassige Araber’ gibt es wohl nur noch unter den Beduinen, einer weiteren Minderheit, die sogar recht klein ist.

 

Und nun möchte ich wenigstens einmal in Erinnerungen schwelgen: 1968 waren wir 61 Schüler in der 11. Klasse der Ibn-Khaldoun-Oberschule in Damaskus. In der ersten Unterrichtsstunde ‚Islam’ dann aber nur noch 40. Wir Muslime – denn weiter wurde nicht unterteilt – bedauerten unsere Mitschüler, da wir wußten, daß sie am Sonntag nachmittag ihre Stunden ‚Christentum’ absitzen mußten, während wir anderen frei hatten. Zufällig erfuhr ich, daß tatsächlich nur 20 von ihnen Christen waren – und als ich Nr. 21 fragte, was er denn sei, war die Antwort: Jude. Interessant, aber schon nach zehn Minuten wieder vergessen. Es war einfach nicht relevant. Denn hier wurde niemand ‚toleriert’. Warst du da, dann warst du eben da und gehörtest dazu. Punkt. Mit (und nicht trotz!) einem sunnitisch-irakischen Vater und einer protestantisch-deutschen Mutter war auch ich ‚nur’ ein weiterer Damaszener. Ich war es bereits mit gut fünf Jahren geworden, am ersten Tag unserer Ankunft aus Berlin, wo wir zuvor gelebt hatten.

 

Auch der gegenwärtige Präsident Baschar al-Assad ist in Damaskus aufgewachsen. Und um es einmal ganz klar zu sagen: Ich habe in meiner Jugend vermutlich mehr Scheiße gebaut als er! Mit 16 zerschredderte Baschar zwar ein paar Porsche. Aber man hörte nie davon, daß dabei andere geschädigt wurden. Während sein älterer Bruder Basil, der eigentliche Kronprinz der ‚Sozialistischen Erbmonarchie Syrien’, wie ich sie gerne nenne, in einem anderen Land ob seines Sündenregisters schon längst und endgültig hinter Gittern verschwunden wäre. Irgendwann verschwand dafür Baschar: Er ging nach England, um Augenspezialist zu werden. Wir hatten alle den Eindruck, daß er heilfroh darüber war einen älteren Bruder zu haben – und ein eigenes Leben in relativer Ferne führen zu können. In London lernte er auch Asma al-Atrash kennen, The Rose in the Desert, wie Juliet Buck im Februar 2011 in einem überaus empfehlenswerten Artikel auf VOGUE DAILY schrieb [http://www.vogue.com/vogue-daily/article/asma-al-assad-a-rose-in-the-desert/] (inzwischen leider gelöscht, da wohl zu positiv...).

 

Doch als Basil 1994 tödlich verunglückte, mußte Bashar nachrücken und wurde von seinem Vater in ‚familiärer Staatsführung’ unterrichtet. Hafez starb im Jahr 2000, Bashar wurde Präsident und kurz darauf Ehemann von Asma. Eine Liebes-Ehe, die den Gerüchten zufolge gegen den Willen beider Familien geschlossen wurde. Wer die orientalischen Gesellschaften wirklich versteht, wird wissen, daß dies wahrlich revolutionär ist. Auch wenn es kaum ein ‚Orient-Experte’ thematisiert hat. Leider. Denn möglicherweise hätten dann einige europäischen Politiker aufgemerkt und dem ‚Neuen’ verläßlichen Beistand signalisiert, was für alle Beteiligten sicherlich sehr interessante Szenarien eröffnet hätte.

 

Der Stammeskrieger wundert sich derweil: Wieso hat Bashar seiner Inthronisierung keine ‚Nacht der langen Messer’ folgen lassen, um sich vom Ballast der ‚Alten Garde’ seines Vaters zu befreien? War er dafür schon zu lange in Europa gewesen? Oder brauchte er diese vielleicht, um seiner Aufgabe überhaupt gerecht werden zu können? Einmal abgesehen davon, daß ein Großteil der kleptokratischen Kaste zur Familie gehört – und damit Tabu ist. Er begann also vorsichtig zu operieren, einige der faulsten Äpfel wurden gepflückt (nicht, daß hierzulande jemand viel davon mitbekommen hätte), und ein Damaszener Frühling machte von sich reden. Da ich mich seit 1989 wieder in Berlin aufhielt, habe ich diesen nicht miterlebt, aber irgend etwas lief schief, und das ganze Bad wurde ausgeschüttet, mit allem, was darin herumschwamm .

 

Wer hatte da Angst bekommen? Und vor wem? Gab es denn überhaupt eine konstruktive Opposition in Syrien? Die destruktive Variante hatten wir schon Anfang der 1980er zu genüge kennengelernt, als sunnitische Militante mit Sprengstoff, Entführungen und Mordanschlägen das ‚Ende des gottlosen alawitischen Regimes’ herbeibomben wollten. Der allererste Sprengsatz, der den Moslembrüdern zugeschrieben wurde, explodierte direkt neben unserem familiären Ingenieurbüro. Er war relativ klein, und im 3. Stock hatten wir das Glück einer gewissen Distanz. Trotzdem riß es uns alle Fensterrahmen heraus. Aber was konnten wir dafür, daß lange nach uns die Leitung der regierenden Baath-Partei ins Nebengebäude eingezogen war? Bald darauf explodierte ein wesentlich größeres Kaliber direkt unter dem Kabinettsaal, kaum 150 m entfernt, und wir mußten schon wieder alle Fenster neu verglasen lassen. Der Ministerrat hatte unglaubliches Glück. Nur wenige Minuten bevor der Saalboden einmal kurz gegen die Decke klatschte, war der Rat geschlossen zum nahen Volksparlament gefahren, um die tags zuvor neugewählten Abgeordneten zu beglückwünschen – und überlebte.

 

Eine der ersten Autobomben mit über 200 Toten, nur wenige Wochen später, verpaßte ich gerade mal um zehn Minuten. Ich hätte sonst wohl direkt hinter dem Sprengstoffwagen geparkt, während mein Freund in dem zum Ziel auserkorenen Wehrkreisamt einen Termin hatte. Ein eindrucksvoller Abgang mit Pink Floyd aus dem Autokassettenrekorder – ohne daß von mir genügend übriggeblieben wäre, was meine Familie hätte begraben können. Wie also sollte ich nicht auf der Seite von Präsident Hafez al-Assad stehen, als er im Februar 1982 in Hama, jawohl, durch ein Massaker, ein für alle Mal Schluß mit dem islamischen Extremismus in Syrien machte?!

 

Sind es wirklich nur friedliche Demonstranten in Deraa? Und sind es tatsächlich nur die sogenannten Sicherheitskräfte, die um sich schießen? Wer schiebt hier welche Eisen ins Feuer, will alte Rechnungen begleichen oder neue aufmachen? Die Informationen sind so widersprüchlich, daß ich mir im Moment keinerlei Urteil erlauben kann. Es ist bedrückend und traurig, was in Syrien passiert, denn genau wie ich betrachteten viele Menschen unser junges, modernes und akademisches Präsidenten-Ehepaar als Segen für das Land.

 

Lieber Baschar, Dein Vater hat Syrien in keine Kriege im Stile Saddams geführt und die meisten Provokationen sehr geduldig ausgesessen. Dafür sollten alle Bürger dankbar sein. Und während beispielsweise Israel seinen Schekel mehrfach abwerten mußte, blieb die syrische Wirtschaft relativ stabil. Die Menschen im Land wissen dies, wollen aber auch einen oder sogar ein paar Schritte weiter kommen. Die Notstandgesetze wurden aufgehoben. Sehr gut, aber nun sollten auch die ‚inneren’ revidiert werden. Und die Bäume im familiären Garten könnten ebenfalls einen ordentlichen Schnitt vertragen. Apropos: Was machen die eigentlich mit dem ganzen Geld?! Eine modernisierte Verfassung mit Mehrparteien-Wahlrecht ist zwar etwas teurer als eine Diktatur, aber Syrien ist ein reiches Land mit arbeitsamen Menschen. Und die Einsparungen im Sicherheitsapparat wären auch signifikant.

 

Deine Herausforderer scheinen ihr Streben nach dem Präsidentensessel als ausreichende Kompetenz dafür zu betrachten, diesen auch zu verdienen. Du solltest aber keine Angst haben und ihnen die Chance geben sich zu bewähren. Du hast nicht die Urangst, die Erfahrung des Hungers in der Jugend, wie so viele der anderen Staatsführer arabischer Länder. Und du bist trotz deines offiziellen Rangs auch kein Militär, so wie fast alle unter ihnen. Denke an deinen hippokratischen Eid, den du VOR deiner Vereidigung als Präsident geleistet hast! Dein Werkzeug ist das Skalpell und nicht das Maschinengewehr. Und in ein paar Jahren? Nun, auch das Leben eines elder statesman kann sehr angenehm sein – und Deine Familie wirst Du auch als Augenarzt jederzeit und überall ernähren können. Ich würde dir meine Augen jedenfalls anvertrauen.

 




Achmed A. W. Khammas


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