Islamunterricht
Im Jahr 2003 übernahm ich
im Rahmen des Vereins COURAGE
gegen Fremdenhass die
Aufgabe, ein Jahr lang an einer Europa-Schule in
Berlin-Neukölln experimentellen Islamunterricht zu
erteilen.
Auf mehrfachen Wunsch stelle ich hier einen kurzen
Bericht darüber ins Netz, welcher
die Ergebnisse der ersten fünf Unterrichtseinheiten
umfaßt.
Der Kontakt mit der interessierten
Schule kam durch COURAGE e.V. zustande. Meinen
ersten Besuch machte ich dort am 19.11.2003, wobei
ich mit der Direktorin und zwei Klassenlehrern
zusammentraf. Es ging darum, daß muslimische Eltern
einen Islam-Unterricht für ihre Kinder wünschen,
die Schule ihrerseits für diese Aufgabe aber niemanden
von der ‚Islamischen Föderation’ haben möchte,
da diese Vereinigung vom Verfassungsschutz als
‚bedenklich’ eingestuft wird. Außerdem liegen einzelne
Erfahrungen vor, denen zufolge bei der Informationsvermittlung
der Föderation verschiedentlich Ansätze indoktrinierender
und diskriminierender Erziehung auszumachen waren.
Als besonders aktuelle Themen,
die Konfliktstoff bergen, wurden während des ersten
Treffens genannt: Sexualität, Kopftücher, gemeinsame
Klassenfahrt von Mädchen und Jungen, Gewalt, ‚Heiliger
Krieg’ und verschiedene Arten der Ausgrenzung.
Und da Weihnachten kurz vor der Tür stand wurde
auch nach Jesus in seiner Rolle als Prophet im
Koran gefragt. Hier könne doch eine Brücke zwischen
der islamischen und der christlichen Religion geschlagen
werden.
Im Einzelnen wurde vereinbart,
als Initialversuch bis Jahresende fünf Doppelstunden
anzubieten, wobei der Unterricht in getrennter
Form für zwei Gruppen stattfinden und jeweils 45
Minuten dauern soll: Die erste Gruppe würde aus
Kindern der 1., 2. und 3. Klasse (14:00 – 14:45),
die zweite Gruppe aus Kindern der 4., 5. und 6.
Klasse (15:00 – 15:45) bestehen.
Es wurde ferner entschieden,
in den Stunden folgende Themen zu behandeln:
- Die fünf Säulen des Islam
- Der Prophet Mohammed
- Der Koran
- Islam heute
- Eine fünfte Doppelstunde wurde für das gemeinsame
Treffen mit den Eltern vorgesehen, direkt im
Anschluß an die dritte Unterrichtsdoppelstunde.
Die Eltern muslimischer Kinder
bekamen von der Direktion ein entsprechendes Schreiben
zugeschickt. Die ersten Unterrichtsstunden fanden
daraufhin am Mittwoch, den 26.11.2003 statt. Anschließend
erfolgte der Unterricht wöchentlich jeweils am
Mittwoch.
1. Stunde: Die fünf
Säulen des Islam
Aus der ersten Gruppe waren
9 Kinder gekommen, aus der zweiten nur 3 Kinder
(obwohl mind. 10 angemeldet waren). Die Unterrichtszeit
(zwischen 14:00 und 16:00) ist natürlich nicht
optimal, trotzdem haben alle Kinder sehr aktiv
am Unterricht teilgenommen.
Auffällig war, daß besonders
die Kinder der jüngeren Gruppe schon recht viel
über den Islam wußten, ein Junge und ein Mädchen
erzählten sogar, daß sie den Koran bereits schon
ein mal komplett ‚gelesen’ haben (d.h. in Rezitationsform
wiederholt, da sie als türkischstämmige Kinder
kein Arabisch konnten; trotzdem – oder gerade deshalb
– eine besondere Leistung). Mehrere Kinder konnten
– in unterschiedlicher sprachlicher Qualität –
kleinere Koransuren frei aufsagen.
Die Kinder der älteren Gruppe
kannten dagegen viel mehr ‚Märchen’ aus dem Fundus
des sog. ‚Volksislam’ (was man hier teilweise als
‚Aberglauben’ u.ä. bezeichnen würde).
Inhalt der ersten Stunde waren
die 5 Säulen des Islam, die Basis
des Glaubens:
- Die Schahada (Anerkennung
des einen Gottes und Mohammeds als seinen
– aber keineswegs einzigen – Propheten),
- das Gebet (5 x täglich),
- das Fasten (1 x jährlich
den Monat Ramadan über),
- die Zakat (die freiwillig
zu entrichtende Almosen- o. Armensteuer) und
- die Hajj (die Pilgerfahrt
nach Mekka, 1 x im Leben).
Hierbei habe ich die Gründe
und die Relevanz der fünf Säulen dargestellt, wie
auch Vergleiche zur Gegenwart und zu anderen Religionen
gezogen – im vorliegenden Fall waren dies die fünf
Stichworte Einheit, Versenkung, Selbstbeherrschung,
Verantwortung und Gemeinschaft.
Im Zuge der sehr lebhaften Diskussion
wurden aber auch periphere Fragen sowie Themen,
die eigentlich für spätere Stunden vorgesehen waren,
angesprochen. Dazu gehörten z.B. die Rolle der
anderen Propheten (unter denen besonders Jesus,
Abraham, Moses und Adam – der ja auch als Prophet
gilt – näher besprochen werden sollten), einzelne
Koransuren und ihre Bedeutungen (was die Gelegenheit
zur Darstellung unterschiedlicher Interpretationen
gibt) sowie die Beurteilung verschiedener Elemente
von Moral und Ethik (Gut/Böse-Dualität, Freier
Wille, Himmel/Hölle als Belohnung bzw. Strafe,
usw.).
2. Stunde: Der Prophet
Mohammed
Obwohl einige Kinder (z.T. wegen
Krankheit ) fehlten, steigerte sich die Schülerzahl
in der ersten Gruppe auf 11, in der zweiten Gruppe
auf 7 Kinder, darunter erstmals auch Kinder einer
arabischen Familie. Das Interesse und die Mitarbeit
waren wie in der ersten Stunde sehr hoch.
Ich war überrascht, daß nur
ein einziges Kind auf die Frage nach dem ‚Beruf’
des Propheten antworten konnte, „er hatte was mit
Schafen zu tun“. Nachdem ich dies bestätigt habe,
denn es ist ja überliefert, daß der bei seinem
Onkel aufwachsende Waise Mohammed schon früh eine
Herde der Großfamilie zu hüten hatte, erzählte
ich den Kindern von dem Händler und Karawanenführer
Mohammad, der den Beinamen Al-Amin (= der Zuverlässige)
erhielt, weil seine Karawanen nie überfallen, und
daher immer ohne Verluste ihre Ziele (Damaskus
bzw. Mekka) erreichten. Dabei legte ich darauf
Wert, den Kindern den ‚Menschen Mohammad’ vor seiner
Offenbarung nahe zu bringen, sein Verhandlungsgeschick
und seine Diplomatie, durch die er mit den z.T.
feindlich eingestellten Stämmen Einigungen erzielte.
Hier konnte ich das Thema Gewaltvermeidung anknüpen,
was zu einer lebhaften Diskussion führte. Sicherlich
auch deshalb, weil sich Gewalt für die Schülerinnen
und Schüler nicht auf einer abstrakten, sondern
auf der Ebene ihrer täglichen Realität abspielt.
Bei dem Gespräch über Mohammed
als Propheten zeigte es sich, daß einige der Kinder
überraschend viele andere Propheten kannten. Ein
Mädchen sagte, daß sie zwar wisse, daß im Koran
25 Propheten genannt werden, aber sie kenne sie
nicht alle namentlich. Ich suchte daraufhin einige
der wichtigsten Propheten heraus, verwies auf die
Suren, in denen sie erwähnt werden (bes. die Sure
Miriam = Maria) und baute damit eine enge Brücke
zu den beiden anderen monotheistischen Religionen
Judentum und Christentum. Ich hatte den Eindruck,
daß die Kinder zumeist gar nicht wußten, daß der
(koranische) Prophet Issa mit dem Jesus des Christentums
identisch ist (!).
Während dem Unterricht der zweiten
Gruppe war auch eine türkische Mutter anwesend,
die danach meinte, daß es ihr besonders wichtig
sei, daß jemand die Fragen ihres Sohnes beantwortet,
obwohl dieser schon in einer Koranschule unterrichtet
wird. Hier zeigt sich ein Schwachpunkt des Unterrichts
derartiger Schulen, die sich wohl viel zu selten
mit den Fragen und Überlegungen der Kinder selbst
beschäftigen.
3. Stunde: Der Koran
Auch in der dritten Unterrichtsstunde
kamen wieder einige neuen Kinder dazu. Sie über
die bisherigen Unterrichtsinhalte zu informieren
verband ich mit dem Abfragen der anderen Kinder.
Es scheint, daß die Kinder langsam
‚warm’ werden, was sich besonders durch eine sehr
merkliche Zunahme an Fragen ausdrückt, die oftmals
weit über das definierte Unterrichtsthema hinausgehen.
Da ja noch keine festen Rahmenlehrpläne für das
Fach Islamkunde (bzw. ‚Islamischer Religionsunterricht’)
vorliegen und es mir besonders wichtig ist, das
Vertrauen der Kinder zu gewinnen, stelle ich in
solchen Fällen das Unterrichtsthema auch etwas
zurück. Außerdem entspringen diesen Fragestellungen
erste Diskussionen unter den Schülerinnen und Schülern,
die ich behutsam im Sinne der didaktischen Ziele
anleite. Um einige Beispiele dafür zu nennen, welche
Themen z.B. von den Kindern der älteren Gruppe
angesprochen wurden:
- Ist Homosexualität eine Sünde?
- Wie weit soll das Verständnis
für andere gehen?
- Warum gibt es einen Kopftuchzwang?
- Sind wir hier ‚Fremde’?
Da der Islam in seiner täglichen
Anwendung auch so gut wie alle Belange des täglichen
Lebens berührt, können derartige Fragen nicht einfach
an andere Fächer delegiert werden.
Außerdem sind diese Themen so
stark mit den Lernzielen Toleranz und Akzeptanz
verknüpft, daß sie eigentlich explizit in eigenen
Stunden behandelt werden sollten.
Trotzdem bemühte ich mich weitgehend,
am Unterrichtsthema festzuhalten, was in dieser
Stunde durch eine allgemeine Einführung in den
Koran, die Form seiner Verkündung und die erste
Sure (Al-Fatiha = die Eröffnende) erfolgte. Außerdem
erzählte ich den Kindern über die (vom Islam anerkannten)
Offenbarungen, die dem Koran vorangegangen waren
(Thora, Psalmen, Evangelien).
Zum Thema Koran möchte ich noch
folgendes hinzufügen: Das Lesen oder Rezitieren
der Koranverse erfolgt ja ausschließlich in Arabisch.
An dieser Stelle zeigt sich natürlich der Vorteil,
den Schüler aus arabischsprachigen Familien gegenüber
ihren türkischen, kurdischen, persischen oder albanischen
(u.a.) Mitschüler haben, da diese die arabischen
Worte zumeist ja gar nicht verstehen können. Doch
schon der erste Vers der Al-Fatiha, „Alles Lob
gebührt Gott“ führte wieder in die erlebte Gegenwart,
da das Verb ‚Hamd’ (= Lob) ja in sehr vielen Namen
zu finden ist, welche die Kinder – auch die nicht
arabischstämmigen – zum Teil selbst tragen (Mohammed,
Ahmad, Ahmet, Mahmud usw.). Denn es ist ja besonders
wichtig, den nicht Arabisch sprechenden Kindern
die Inhalte und Bedeutungen der Suren und Verse
zu erklären – was eben mit einzelnen Wörtern anfängt...
Sehr gefreut haben sich die
Kinder der jüngeren Gruppe über die Aufgabe, einige
der wichtigsten Begriffe des Islams in arabischen
Schriftzeichen abzuschreiben (Allah, Mohammed,
die fünf Säulen).
4. Stunde: Zusammentreffen
mit den Eltern
Im Anschluß an die 3. Stunde
war ein gemeinsames Zusammentreffen mit den Eltern
der Schülerinnen und Schüler angesetzt worden.
Neben der Direktion und mehreren Lehrerinnen und
Lehrern waren rund 20 Mütter und Väter anwesend,
die Mehrzahl davon türkischer Abstammung. Nach
einer Einführung durch die Direktion stellte ich
den COURAGE e.V. vor, erzählte kurz über mich und
berichtete von den ersten Erfahrungen im Unterricht.
Danach baten wir die Eltern um Fragen, Meinungen
und Anregungen. Auch hier zeigte sich wieder, daß
die Beantwortung der Fragen der Kinder bei den
Eltern einen hohen Stellenwert hatten. Die türkische
Mutter, die in der zweiten Stunde hospitiert hatte
erzählte beispielsweise, daß Ihr Sohn die Frage
gestellt hätte, „woher weiß ich denn, daß meine
Religion, der Islam, die richtige ist?“.
Ich hielt es an dieser Stelle
für angebracht darauf hinzuweisen, daß der Glaube
eine Sache des Herzens ist, und daß eine der wichtigsten
islamischen Verhaltensregeln in dem Vers begründet
liegt, „Es sei kein Zwang im Glauben (wörtl.: Religion)“
(la ikraha fil-din, 2. Sure, 256. Vers).
Ein Vater berichtete, daß seine
kleine Tochter nach der ersten Stunde keine Lust
mehr auf den Unterricht hatte. In der Diskussion,
an der auch eine der Lehrerinnen dieser Schülerin
teilnahm zeigte sich, daß der Grund hierfür ein
‚Sprachproblem’ war. Die Schülerin aus türkischem
Elternhaus, deren deutsche Sprachkenntnisse als
gut bezeichnet wurden, kannte weder die arabischen,
noch die deutschen Begriffe im religiösen Kontext
(wie Fasten, Pilgerfahrt, Armensteuer usw.). Mit
Unterstützung eines Elternteils, so wurde besprochen,
sollten daher die wichtigsten dieser Begriffe in
türkisch (und in kurdisch, im Fall der betreffenden
Schule, anderswo vielleicht noch persisch oder
albanisch) notiert werden, um sie als Elemente
erster Verständnisbrücken zu nutzen. Der Unterricht
an sich wird aber in jedem Fall weiter in Deutsch
erfolgen. Die Schülerin, die dann auf Bitte ihrer
Eltern weiter am Unterricht teilnahm – so fügte
der Vater hinzu – sei aber heute ganz begeistert
gewesen, daß sie einige Begriffe in arabischen
Schriftzeichen von der Tafel abmalen durfte (!).
Die anwesenden Eltern verstanden
auch sehr gut, daß der islamische Unterricht nicht
im eingegrenzten Sinne der sunnitischen ODER schiitischen
Richtung erfolgen darf, ebenso wenig wie er sich
an einer der vier anerkannten Rechtsschulen ausrichten
sollte. Vielmehr sollten die Kinder auf Grundlage
der gemeinsamen Basis über die konfessionellen
Unterschiede informiert werden.
Weitere Themen des Gesprächs
betrafen die Positionierung des Unterricht, der
doch besser während der regulären Schulzeit erfolgen
sollte; man fragte nach einem nachvollziehbaren
Rahmenplan für den Unterricht, anhand dessen sich
die Eltern über die Unterrichtsinhalte informieren
könnten; und es wurde seitens der Direktion angeregt,
doch einen der kommenden islamischen Feiertage
gemeinsam mit der ganzen Schule zu feiern. Mehrere
der Eltern erklärten sich spontan zur entsprechenden
Mithilfe bereit. Von seiten der Lehrerschaft wurde
der Vorschlag gemacht, mit den Eltern zusammen
ein interreligiöses Gespräch mit Kurzreferaten
verschiedener Glaubensrichtungen zu führen, und
auch dieser Vorschlag traf auf Interesse und Bereitschaft.
Dabei sollten bestimmte Themen vorgegeben werden
(z.B. die Menschrechte, die Stellung der Frau).
Man forderte aber ebenso, daß die Eltern der unterschiedlichen
Glaubensgemeinschaften auch von Zuhause aus mehr
Interesse aneinander zeigen sollten, da dies sicherlich
einen Vorbildcharakter für die Kinder hätte.
5. Stunde: Der Islam
heute
Diesmal ging es um die Verbreitung
des Islam und um seine heutige Position in der
Welt. Nach einem kurzen geschichtlichen Überblick,
erzählte ich ein wenig über die verschiedenen ‚Islamischen
Länder’. Eines der älteren Kinder wußte beispielsweise,
daß Indonesien die größte Zahl muslimischer Einwohner
hat (was manchmal selbst erwachsene Muslime nicht
wissen). Als kleine Schriftübung wählte ich die
‚Basmala’, jenen Satz, mit dem – bis auf eine einzige
– alle Suren im Koran beginnen, und den die Muslime
im täglichen Leben üblicherweise vor Beginn einer
jeden Handlung sprechen: ‚Im Namen Allahs, dem
Gnädigen und Barmherzigen’. Wir sprachen dann über
den ‚Sinn’ eines derartigen Satzes, der mit der
Würdigung einer angestrebten Tat, dem Dank (für
das Essen z.B.) und mit der Konzentration auf eben
diese Tat zu tun hat. Den Kindern war es völlig
unbekannt, daß auch Christen vor dem Essen ein
Gebet sprechen – hier ist wirklich noch einiges
an Aufklärung nötig, bevor man von gegenseitigem
Verständnis reden kann.
Auch diesmal hatten die Kinder
eine Menge an Fragen, die wiederum weit über das
vorgegebene Thema hinausgingen. Besonders die Gruppe
der älteren Schülerinnen und Schüler beschäftigten
die aktuellen politischen Themen, speziell die
Entwicklung im Irak mit der Ergreifung von Saddam
Hussein. Auf die Frage, ob denn Saddam tatsächlich
Muslim sei, und ‚wir’ ihn deshalb gegenüber den
Amerikanern verteidigen müssten antwortete ich,
daß sich der irakische Diktator möglicherweise
tatsächlich als Muslim betrachtet hat, daß sich
aber seine TATEN in den vergangenen Jahrzehnten
ganz eindeutig nicht mit den Tugenden und der vorgegebenen
Lebensweise, wie der Islam sie fordert, vereinen
lassen. Weder die regelrechten ‚Kriege’ gegen die
eigene Bevölkerung (Kurden, Schiiten, Bewohner
der Aghuar im Süden des Landes usw.), noch seine
Angriffskriege gegen den Iran oder Kuwait haben
das Geringste mit einer islamischen Einstellung,
bzw. konkreter mit der Handlungsweise eines
Muslim zu tun.
Die Kinder fragten auch, wie
sie sich denn verhalten sollen, wenn sie sich Konfliktsituationen
ausgesetzt sehen, ohne diese selbst provoziert
zu haben. Es lag nahe, an dieser Stelle auf einen
anderen Propheten hinzuweisen, und das von Jesus
überlieferte Beispiel ‚der rechten und der linken
Wange’ zu erzählen. Daß der Mensch – jeder Mensch,
egal wer und wo – andererseits auch dazu berechtigt
ist, sich gegen einen auf ihn ausgeführten Angriff
zu verteidigen, ist im deutschen Gesetz z.B. unter
dem Begriff ‚Notwehr’ geregelt. Genauso verhält
es sich mit den entsprechenden Anweisungen des
Korans und der Sunna (der Überlieferung des Propheten).
Ich habe den Kindern die entsprechenden Stellen
aus dem Koran vorgelesen und ins Deutsche übertragen.
Am Ende der Stunde gab ich den
Kindern noch einmal die Gelegenheit, weitere (allgemeine)
Fragen zu stellen, wovon sehr rege Gebrauch gemacht
wurde. Die meisten hatten mehr als eine Frage,
und obwohl sich der Unterricht dadurch um mehr
als eine halbe Stunde verlängerte, sprühten die
Kinder bis zuletzt vor Interesse, Neugier und Wissbegierde.
Nur um abschließend einige dieser Fragen zu nennen:
- Dürfen wir denn mit den Christen
auch Weihnachten oder Sylvester feiern – oder
ist dies eine Sünde?
- Ist Jesus tatsächlich zu
Weihnachten geboren?
- Und war der Nikolaus wirklich
ein Türke?
- Was ist mit Geistern?
- Mit den Seelen der Toten?
Zum Abschied meinte ein türkischstämmiger
Junge, daß er am liebsten gleich drei Stunden hintereinander
machen würde – ein eindringlicher Beweis dafür,
daß diese Kinder im Rahmen des erstrebten Integrationsprozesses
eine ganz besonders intensive, regelmäßige und
verlässliche Form des moralisch-ethischen Unterrichts
brauchen, der sich in ihrem Fall auf der Basis
der islamischen Religion aufbaut.
Berlin, 23.12.2003
Fazit: Die Kinder brauchen keinen Religionsunterricht
- sondern Unterricht in Vergleichender
Religionswissenschaft.
Dies ist auch die beste Terrorismusprophylaxe!
Da der Berliner Innensenat nach Ablauf des Jahres
nicht herausfinden konnte, aus welchem Topf mein
Honorar von rund 30 Euro pro
Woche weiterbezahlt
werden sollte, wurde der Unterricht nicht mehr
weitergeführt.
Es erübrigt sich wohl darauf hinzuweisen,
daß die Kinder darüber sehr traurig waren. Und
ich auch.
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