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Computer und Drogen - Gedanken zur Entropie der Ekstasetechnik

Dieser Artikel meines langjährigen Freundes Reiner Matzker ist Teil einer Festschrift zum 60. Geburtstag des Berliner Religionswissenschaftlers Prof. Klaus Heinrich, den wir alle sehr bewundert haben. Er war so gut wie der einzige Professor, dem wir auch zugehört haben. Weil er auch uns zugehört hat.

Und der Artikel? Nun lest selbst, was Computer und Drogen und Entropie gemeinsam haben...


Computer und Drogen - Gedanken zur Entropie der Ekstasetechnik

von Reiner Matzker

I.

Da es mir in diesem Aufsatz nicht um eine rein fachspezifische Erörterung seiner jeweils physikalischen oder religionspsychologischen Interessen zu tun ist, die in uferlose natur- und geisteswissenschaftliche Theorieströme führen würde, sondern um den engeren Zusammenhang einiger prägnanter Überlegungen aus diesen Bereichen, will ich versuchen, die notwendigen Beschreibungen der jeweiligen wissenschaftlichen Hintergründe soweit wie möglich ihren terminologischen und teilweise überdeterminierten Komplexionen zu entziehen und möglichst allgemeinverständlich zu leisten. Aus diesem Grunde will ich mich, auch wenn mir dadurch so mancher - von fachlicher Seite sicherlich mitunter auch berechtigte - Vorwurf gemacht wird, im folgenden auf eher populärwissenschaftlich angelegte Analysen stützen, die nach meiner Überprüfung durchaus von fachlicher Qualität sind und mit Sicherheit weniger provozierend argumentierten, als dies allein bedingt durch das Thema dieser Schrift in ihrem Verlauf geschehen wird. Denn fast immer wird ein interdisziplinäres Vorgehen, selbst wenn es sich vorrangig um Vermittlung bemüht, im Zuge geisteswissenschaftlich-naturwissenschaftlicher Kompetenzstreitigkeiten die eine oder andere Seite der Theoriebildung in ihrem Selbstverständnis stören und es geradewegs schwer haben, seinem Anliegen im Gegenüber der verkrusteten Vorstellungen auf beiden mehr oder weniger verfeindeten Seiten entsprechende Akzeptanz zusichern zu können. Noch dazu, wenn es sich wie hier um die eher philosophische bzw. psychologische Deutung eines physikalischen ‘Gesetzes’ handelt. Die Provokation wird Stigma der angestrebten Analogiebildungen und eines von mir als möglich angenommenen Konsenses in bezug auf einen psychophysikalischen Theorieansatz bleiben.

Grund- und Eckstein meiner Überlegungen ist das Entropiegesetz. Was heißt ‘Entropie’? Das griechische Wort bezeichnet, genau genommen, ein In-der-Wende-sein, auch ein Umgestülptsein (vgl. med. Entropium), philosophisch gesehen ein Weder-noch des Zustands oder auch sein Nicht-mehr bzw. Noch-nicht, seine zwischen hier und dort (örtl.), jetzt und gleich (zeitl.) unbestimmt bestimmte Faktizität. Entropie bezeichnet, so gesehen, ein Mysterium des Zustands, einen kaum faßbaren Umschlagplatz, wo das Bisherige in eine neue Zustandsform transformiert wird, es völlig neu und nicht mehr in vertrauter Weise erscheint. Sinnbildlich bezeichnet der Begriff folglich einen Schwebezustand in dem Kräfteverhältnis eines Umwandlungsprozesses (zwischen Ursache und Wirkung), ein Kippmoment in einem kausalen Gefüge der Veränderung, wobei diesem Kippmoment besondere Bedeutung zugemessen werden kann, insofern sich an ihm die für die jeweilige Ursache der Veränderung berechnete immanente Wirkung nicht erfüllen muß, sondern gewissermaßen die immanente Ordnung, in der Ursache- und Wirkungsphänomene gewöhnlich verkettet sind, transzendiert werden kann. D.h. dieser Entropie-Wendepunkt kann sich auf die berechnete Qualität des Ergebnisses einer Transformation z.B. als über die Kalkulation hinausreichender Störfaktor begreifen, immanente Ordnungszusammenhänge transzendieren und - gemessen an der bekannten Ordnung - ins Chaos stürzen. Womit schon viel über den Gehalt der Entropie vorweggenommen ist. Doch ich will zunächst betrachten, was Entropie als physikalische Größe besagt.

Ganz allgemeinphysikalisch kennzeichnet Entropie die Verlaufsrichtung eines thermodynamischen Prozesses, also eines Prozesses der Energieumwandlung in einen anderen Zustand, in Wärme und Arbeit. Im besonderen ist jedoch Entropie Maßeinheit für den Verlust an verfügbarer Energie während eines solchen Prozesses, d.h. wesentliche Bestimmungsgröße für Energie im transformierten Zustand, die nicht weiter zu nutzen ist, nicht weiter in Arbeit umgewandelt werden kann. Sie bezeichnet das Absinken des Konzentrationsniveaus von Energie (beispielsweise das Absinken der Energiekonzentration eines Stausees bei seiner Entleerung).

Nach Rifkin (Entropie, Hamburg 1982, S. 45) wurde der Begriff zuerst im Jahre 1868 von dem deutschen Physiker Rudolf Clausius geprägt. Dieser entdeckte, "daß in einem geschlossenen System die Unterschiede des Energieniveaus dazu neigen, sich auszugleichen". Die warme Luft eines geheizten Raum z.B. und die kalte Luft eines ungeheizten Raumes würden nach dem Öffnen einer Verbindungstür einen Temperaturausgleich anstreben. Der hergestellte Gleichgewichtszustand bestimmt dabei die maximale Größe der Entropie dieses Vorgangs. Im Physikalischen beschreibt also Entropie - plan gesagt - eine Bewegung von einem Zustand äußerster Energieanspannung (Stausee/Gefälle) bis hin zu seiner völligen Entspannung, dem Maximalwert der Entropie. Derart formuliert zeichnet sich bereits der physikalisch-psychologische Zusammenhang ab. Energieanspannung findet ihren Ausgleich und Nullpunkt im Höhepunkt der Entropie, dem Vollzugspunkt ihrer Entspannung. Der triebtheoretische Aspekt dieser physikalisch angenommenen Tatsache ist offensichtlich. Höhepunkt und energiedynamischer Nullpunkt werden auf einen Wert vereint. Proportional zum Energieverlust füllt sich das Maß der Entropie. Energieverlust bedeutet Entropiegewinn... Es scheint, als sei das durch den Einsatz von Energie, über Wärmeverwendung und Arbeit erzeugte Produkt nebst seiner Abfallprodukte Entropiebeleg, d.h. Beleg für den Wert an nicht mehr optimal verfügbarer, also verbrauchter Energie. Der erste thermodynamische Hauptsatz von der universellen Konstanz des Energieinhalts, die Summe bzw. Essenz der Energie und Materie des Universums bleibe konstant, sie kann weder verringert noch vergrößert werden, wird durch die für den Menschen scheinbar fatale Erkenntnis ergänzt, daß Energietransformationen Zustände nicht mehr verfügbarer, gebundener Energie hervorrufen. Dies will zumindest der zweite thermodynamische Hauptsatz, offensichtlich bestimmt durch das Entropiegesetz, besagen: Energie kann nur in eine Richtung verändert werden, von einem brauchbaren in einen verbrauchten Zustand, von einem geordneten in einen ungeordneten, chaotischen. Es bleibt natürlich fraglich, ob Energie in diesem Zustand auf lange Sicht tatsächlich 'verbraucht' bzw. unbrauchbar ist, zumal der zweite Hauptsatz noch auf anderes hindeutet, daß nämlich Entropie-Wachstum gleichbedeutend mit dem Wachstum eines nicht mehr berechenbaren, fremden Kalküls ist, daß durch Energieaufwand betriebene Kompensation intentional ‘abirren’, nicht nach Plan verlaufen kann, der Übergang von freier zu gebundener Energie einer unberechenbaren chaotischen Mischung entgegenarbeitet, einer Zufallsverteilung von Materie und Energie, die der bisherigen naturwissenschaftlichen Bestimmung sich als übergeordnete Gesetzmäßigkeit entzieht.

Die Verlegenheit, in die das Entropiegesetz führt, bringt Rifkin in seiner Arbeit unbewußt zum Ausdruck. Einerseits will er behaupten, die Dissipation, die Zerstreuung eines Teils der Energie bei jedem Arbeitsprozeß, sei ein Indiz dafür, daß jeder Arbeitsvorgang an einem Prozeß universeller Entropie beteiligt und z.B. Umweltverschmutzung nur ein anderer Name für Entropie sei, andererseits, daß Entropie in einem 'Gleichgewichtszustand', quasi in einem Grad maximaler Ausgeglichenheit, den Höchstwert fände. Ist Umweltverschmutzung tatsächlich optimaler Ausdruck eines Ausgeglichenseins? Eine zynische Variante des ohnehin recht pessimistisch eingesetzten Begriffs, erhöht noch durch eine Bemerkung von B. Rüssel, Entropie sei eine 'Tendenz zur Demokratisierung' (vgl. Rifkin a.a.O., S. 52), - dies ein die Tendenzen moderner Industriegesellschaften, ihre ständigen wertebezogenen und Realien, Umwelt verschleißenden Innovationsbemühungen in das dunkelste und zugleich kritischste Lichte setzendes Statement.

Entropie, so besagt ein weiterer thermodynamischer Grundsatz, wird in einem geschlossenen System schließlich ihr Maximum erreichen. Konkret heißt das nach Rifkin:

"Obwohl effiziente Recyclingverfahren in Zukunft entscheidend für das ökonomische und ökologische Überleben unseres Planeten sind, gibt es keine Möglichkeit der hundertprozentigen Wiedergewinnung von Rohstoffen, also von Energie... Alle Materie (kann) nur durch den Verbrauch neuer Quellen verfügbarer Energie wiedergewonnen werden und das zum Preis wachsender Entropie in der gesamten Umwelt." Rifkin a.a.O., S. 48)

Die Gegner des Entropiegesetzes, Spiritisten und Wissenschaftler wie Ludwig Boltzmann (Entdecker des ‘H-Theorems’), müssen auf die ideologische Irritation dieses alles ins Chaos stürzenden, alles für vergeblich erklärenden Vernichtungsgesetzes reagiert, ihm eine Hoffnung spendende Ideologie gegenüberzustellen gedacht haben. Eine solche war allerdings physikalisch nicht zu sichern. Die Dissipation von Energie blieb Gesetz, ein Gesetz, das einhergeht mit einer jede Energievergeudung strafenden Moral des Maßhaltens, einer Doppelmoral -wie u.a. die verschmutzten Flüsse und Meere, die ausgebeuteten Landschaften zeigen.

Auf den Evolutionsprozeß angewandt bzw. auch auf eine die Annahme einer fortschrittlich organisierten, Chaos und Ordnung vermittelnden, d.h. schöpferischen Theorie, ist die Erkenntnis des Entropiegesetzes fatal. Evolution käme einer mehr oder weniger langsamen Steigerung des Entropiewerts gleich; Revolutionen würden sie beschleunigen. Als physikalische Größe besagt also Entropie: Es gilt, Zustände zu erhalten -solange wie möglich - es gilt, Entwicklungen aufzuhalten und nach Möglichkeiten rückgängig zu machen, Prozesse zu verlangsamen, wenn notwendig auch zu stoppen. So ausgedrückt, dürfte der Begriff ‘Entropie’ einem fortschrittlich denkenden Bewußtsein äußerst zuwider sein. Eine Vernichtungsstrategien als Tatsachen beschwörende, Katastrophen rationalisierende undialektische Auffassung prägt das ‘Gesetz’, eine eindimensionale Geschichtsdisposition, eine dieses große Opfer, diese Vernichtung naiv bejahende, kaum noch Widersprüche aufzudecken fähige Schicksalsgläubigkeit, um nicht zu sagen: ein abgrundtiefer Aberglaube. Mögliche Entropie schafft eine ‘entropische’, den Wert der Entropie bestimmende und ihn zum Gesetz erklärende Realität. Henri Bergson hat in seinem 1930 veröffentlichten Aufsatz ‘Das Mögliche und das Wirkliche’ die 'bsurdität'dessen betont, "daß die zukünftigen Zustände eines geschlossenen Systems von materiellen Punkten berechenbar sind und folglich in seinem gegenwärtigen Zustand sichtbar". Er sagt:

"... dieses System ist aus dem Ganzen isoliert und abstrahiert, daß außer der trägen und anorganischen Materie auch die Organisation umfaßt. Man nehme die konkrete und vollständige Welt mitsamt dem Leben und dem Bewußtsein, du sie einschließt; man betrachte die ganze Natur, die Schöpferin neuer Arten mit ebenso originellen und ebenso neuen Formen wie die Zeichnung eines beliebigen Künstlers; man halte sich innerhalb dieser Arten an die Individuen, Pflanzen oder Tiere, deren jedes seinen eigenen Charakter hat... ; man gehe vom Einzelmenschen bis zu den Gemeinschaften über, in denen sich Handlungen und Situationen vergleichbar denen eines beliebigen Dramas abwickeln: wie könnte man dann noch von Möglichkeiten sprechen, die ihrer eigenen Verwirklichung vorausgingen? Wie sollte man nicht sehen, daß, wenn ein Ereignis sich nachträglich durch diese oder jene vorhergehenden Ereignisse erklärt, ein ganz andersartiges Ereignis sich nicht ebensogut unter denselben Umständen, durch anders ausgewählte Vorgänge hätte erklären lassen, - was sage ich? durch dieselben Vorgänge, die aber durch die retrospektive Aufmerksamkeit anders herausgeschnitten, anders verteilt, schließlich anders Wahrgenommen wären. So vollzieht sich nach rückwärts eine beständige Umbildung der Vergangenheit durch die Gegenwart, der Ursache durch die Wirkung." (Henri Bergson, Denken und schöpferisches Werden, Frankfurt/M. 1985, S. 123)

Beachten wir, daß der von Bergson erkannte, d.h. für möglich erklärte Richtungswechsel der Zustandsänderungen, die Annahme einer wirkungsmächtigen Reversibilität, einer durch die Wirkung umgebildeten Ursache, die Entropie - physikalisch gesehen - zumindest als konstanten, wenn nicht gar - metaphysisch gesehen - als sich verringernden Wert auffassen läßt. Der nach der statistischen Thermodynamik als Maß für den Grad der Unordnung betrachteten Entropie, empirisch - wie auch die Enthalpie - als irreversibel bestimmt, stellt das Gedankenexperiment Bergsons nicht nur eine Chaos erzeugende, sondern gleichwohl ‘retrospektiv’ auch Ordnung schaffende Größe entgegen, quasi ein ökologisches Prinzip, den 'Elan vital', jene metaphysisch-schöpferische Urkraft und Erlösungsinstanz, die sich aus den Sprüngen und Rissen des Metabolismus ‘entfalten’ und Veränderungen der Wirkungszusammenhänge ungeahnten Ausmaßes herzustellen imstande sein soll.

Die eindringliche Beschwörung freilich eines derart wirkungsmächtigen schöpferischen Wertes scheint fast beiläufig einer Zerstörungsideologie anzuhaften, die noch bevor sie an physikalischen Bestimmungen zu zweifeln wagte, eine bereits als katastrophal eingeschätzte Tendenz als zwingendes Axiom der Annahme und Berechtigung einer neuen oder anderen Energiekraft verifiziert oder anerkannt hat. Der Preis einer durch den Elan vital suspendierten Katastrophe, für Erlösung und Freiheit, muß letztlich gemessen an dieser Tatsache und an der irrationalen Größe bzw. Totalität dieses 'schöpferischen' Wertes als zu hoch und kaum leistungsgerecht erscheinen, schließt er doch im Ausmaß die Möglichkeit einer um so größeren, nunmehr nicht mehr rein physisch, sondern gleichsam auch psychisch sich auswirkenden mächtigen und umfassenden, d.h. totalen Entropie ein. Welchen Zustandsveränderungen nämlich die vitale Energie selbst unterworfen ist, inwieweit die sie Nutzenden, sich auf sie Verlassenden nicht selbst ein ‘entropisches’ Risiko eingehen, metaphysischen Gesetzmäßigkeiten und Chaos-Raten unterliegen, bleibt offen. Doch gerade an diesem Risiko der Verläßlichkeit unter Umständen intentional-intuitiv zu gewinnender, frei und ewig verfügbarer Energie schulen sich die diversen an einer vollkommen anderen, sprich alternativen, Kraftvergabe und Sinngebung orientierten Personenkreise, bilden sie die zwischen archaischen Ekstasetechniken und technischer Ekstase der Neuzeit populären wie unpopulären, modischen wie veralteten, obsessiven wie exzessiven Praktiken heraus.

Bergsons 'Elan vital' scheint in einer Zeit der Krisen zum Rüst- und Spielbegriff einer in verzweifelten Amüsement- und Ekstasetechniken Abwechslung und Heil, Ursache durch Wirkung, Wirkung durch Freude suchenden Mentalität geworden zu sein. Nicht aber diese versuchsweise schöpferischen Techniken im einzelnen, das Spiel als das Lebendigmachen der toten Materie, das Inbewegungsetzen des Balls oder der Kugel, oder die Meditation als das Aktivieren des inneren Sinns, das Inbewegungsetzen der Geister, und ebenso auch die durch Einnahme von Drogen erreichten Fähigkeiten, sind es, die diesem Elan zu seiner Macht verhelfen, sondern ihre an Allmachtsphantasien gefesselte und soteriologisch begründete Universalisierung. Die Universalisierung nämlich dieser am Elan vital essentialistisch ausgebildeten Techniken und die durch sie propagierte Wertbildung sind es, die den verschiedenen 'technai', um es mit Klaus Heinrich zu sagen (vgl. anthropomorphe, Frankfurt 1986, S. 162 ff), ihren 'logos', der modernen Technologie ihren existentiellen, gleichzeitig energiespendenden wie verzehrenden Charakter nehmen und sie zur mythologischen Funktion hochstilisieren.

II.

Begreifen wir die Gefahr einer dem blinden Glauben an Allmacht verfallenden Universalisierung der Technik, einer mit steigenden Entropie-Raten und der Herausbildung neuer Mythologien auf das Intimste verbundenen Hochtechnologie, an modernen Beispielen.

Die bereits Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre erreichte interdisziplinäre Reichweite des Entropiebegriffs kann die allgemeine formallogische Anwendung einer zunächst rein physikalischen Meßgröße in anderen Bereichen, und in diesem Zusammenhang speziell im Bereich der Informatik, hinlänglich demonstrieren. Der Philosoph und Wissenschaftstheoretiker Max Bense erörterte in einer 'Grundlegung moderner Ästhetik' die Möglichkeit, 'ästhetische Unbestimmtheit' durch das physikalische, die Entropie umfassende Rechnungsschema numerisch zu erfassen. Er betont: Die physikalische wie auch ästhetische Realität könne als "ein mehr oder weniger gegliedertes oder geordnetes System materialer Elemente aufgefaßt werden", und es bliebe "im Verhältnis zum darauf angewendeten abstrakten Rechnungsschema völlig gleichgültig, ob man dabei von einem System körperlicher Partikel namens ,Gas', einem System verbaler Zeichen namens ,Text' oder einem System farbiger Flecken namens ,Bild' spricht." (in: Mathematik und Dichtung 1965, S. 322) Gemessen wird die Entropie des betreffenden Systems, seine 'mikroästhetische' Zustandsveränderung, d.h. - bezogen auf den Text oder das Bild - der Grad "des Verbrauchs der Freiheit subjektiver Entscheidungen" über die Verteilung der Partikel. Entropie mißt also jeweils den Ordnungszustand der Sache. Für die Beurteilung der 'Originalität' einer ästhetischen Information werden nach Bense faktisch rein quantitative Merkmale, die Anzahl der aus der Ordnung, dem 'System der Redundanz', geratenden, aus ihm heraustretenden 'ekstatischen' Zeichen, erhoben. Relativ fraglos wird höchstes Chaos mit höchster Originalität, ungewöhnlicher Vielfalt der Zeichen, ihrer ausgefallenen Kombination und Korrelation usw., gleichgesetzt. Das Ziel dieses Verfahrens, Universalien, objektive Meßwerte für bislang objektiv nicht als meßbar eingestufte Bereiche zu schaffen, kann - oberflächlich beurteilt - als Versuch verstanden werden, Chaoszustände unter Aspekten der Innovation als Formen höherer Ordnung auszugeben - vielleicht entsprechend dem romantisch-naiven Glauben, daß Wahnsinn bloß eine höhere Form der Intelligenz sei. Übertragen auf dieses Thema heißt das: Der Computer als Bezeichner und Bewerter von Originalität ist Ordnungsstifter in einem Zusammenhang, in dem derjenige, der ihn bedient, gewissermaßen im Spiel Chaos, Verwirrung erzeugen darf, d.h. beteiligt wird an einem gesellschaftlich reglementierten, durch Größen wie Kreativität, Spontaneität und Originalität geprägten Zusammenhang der Erholungspflicht, Freiheit und Produktivität.

Inwieweit moderne Technologie zur Höchstform universalisierenden, Wertmaßstäbe wie Realitäten erzeugenden ekstatischen Spiels gediehen ist, beschreibt Weizenbaum in seiner Analyse 'Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft'. Weizenbaum begreift Spieler wie Computer-Programmierer als Personen, die ständig die 'Wahrscheinlichkeitsgrenze' herausfordern, somit wird Entropie (S) nach Bense, der sich auf Boltzmann beruft, als "eine Funktion ihrer ‘Wahrscheinlichkeit’" (W) begriffen (S = f(W)) - als an bestimmten Höchstgraden der Entropie orientierte Charaktere, die einen "zunehmenden Grad der Mischung bzw. Verteilung materialer Elemente zu einem realisierten Gesamtzusammenhang" größere Wahrscheinlichkeit beimessen (Bense a.a.O., S. 323). Ein höherer Grad der Entropie entspräche als ein höherer Grad der Wahrscheinlichkeit der Möglichkeit, durch Zählen, Quantifizieren, die Gleichsetzung der Zahlen mit Variablen, allgemeine Gesetze, Definitionen und Urteile zu formulieren, bestehende Theorien zu überprüfen, zu kontrollieren, zu verifizieren oder zu eskamotieren. Die Methode dieser an 'Wahrscheinlichkeit' orientierten Universalisierung des Wissens ist die der modernen 'Heuristik', eine Mensch und Computer als informationsverarbeitende Systeme gleichsetzende allgemeine Problemlösungsmethode, die sich auf eben die Universalität bestimmter, dem Menschen und der Maschine gemeinsamer struktureller Eigenschatten beruft.

Wie sehr Computer Medien des Spiels, des Lebendigwerdens und -machens sind, zeigen sogenannte AI-Projekte, Forschungsprojekte auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz, die an einem lernfähigen, intelligenten Computer arbeiten, an einer - wie Weizenbaum es leichthin bezeichnet - 'Anthropomorphisierung' des Computers (Die Macht der Computer ..., Frankfurt 1978, S. 272), also einer ‘menschenförmigen’ Entwicklung der Maschine, ihrer Beseelung. Daß die 'Anthropomorphisierung', die Beseelung nach menschlichem Vorbild, Teil des Spiels ist, verdeutlichen unmittelbar der z.B. im Ballspiel zwischen Spielern lebendig hin und her bewegte Ball oder die auf dem Schachbrett bewegten Figuren. Am deutlichsten aber wird sie am Beispiel des Puppenspiels (Sprechpuppen sind mittlerweile in der Lage, auf Töne und Reizworte zu reagieren. Wünsche und Ängste auszudrücken). Das von Weizenbaum zitierte Computer-Programm 'Eliza', ein Sprach-Analyse-Programm, versetzt die Maschine in die Lage, aufgrund eines eingespeicherten Skripts, einer Reihe von Regeln, eine 'spezifische Gesprächsrolle' zu übernehmen - auch etwa die eines Psychotherapeuten. Die Spannung aber eben einer jeden 'Anthropomorphisierung' besteht - wie dies Heinrich in seiner erwähnten Studie erkennt - zwischen 'morphe' (Form) einerseits und dem, was eigentlich ‘menschlich’ ist, andererseits. D.h. der Prozeß der ‘Selbstbewußtwerdung’ des Computers ist nicht allein eine Frage der Form, eines bestimmten Programms oder Aussehens, sondern eben, und hier scheiden sich die Geister, auch eine der Menschlichkeit. Weizenbaum begreift, daß gerade im Fall des Therapie-Computers der menschliche Vorgang des therapeutischen Gesprächs rein formale Anwendung findet; stärker denn je ist der Patient - ein Objekt, das sich vom gewünschten Objekt unterscheidet. Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, den Unterschied (unter Verwendung der entsprechenden Operatoren) auszumachen und ihn dann (unter Anwendung von Operatoren zur Reduktion von Unterschieden) zu reduzieren usw. (Weizenbaum a.a.O., S. 241)

Das Enthumanisierungsstreben der 'Künstlichen Intelligentia', d.h. ihrer Vordenker (darunter der Leiter des Stanford-AI-Lab John McCarthy, vgl. auch Wolfgang Coy: Meth - Emeth. Abenteuer der künstlichen Intelligenz, in: Kursbuch 75, März 1984), äußert sich in dem Glauben, daß jeder Bereich menschlichen Lebens maschinell zu erfassen ist. Richter, Psychiater könnten ohne weiteres durch Maschinen ersetzt werden, was könnten sie wissen, was einem Computer nicht mitzuteilen ist?

Jedoch - die Verarbeitung kinästhetischer Informationen, Kreativität, die Erfahrung hypnagogischer Trance, all das über formal-instrumenielles Denken Hinausgehende, mit Emotionalität verbundene, das dem Funktionsbereich der rechten Hemisphäre des Gehirns zugeschrieben wird, scheint der künstlichen Intelligenz Grenzen zu setzen, sie auf einen abgesteckten Spielplan zu rufen. Es ist daher leicht zu verstehen, mit welchen Anstrengungen, welcher Besessenheit die ‘Künstliche Intelligentsia' versucht, ‘Ordnung in das Chaos' zu bringen, selbst die unsystematischen Gefühle, Sehnsüchte, die Originalität usw., auf irgendeine Weise in den Organismus der Maschine zu integrieren. Scheinbar ist die Angst vor ‘methodischer Entropie', wissenschaftlichen Grenzen, eng gekoppelt mit wissenschaftlichen Allmachtsphantasien, die sich an den Glauben einer Operationalisierbarkeit des Irrationalen heften. Immer leistungsfähiger werdende Computerprogramme, die sich durch Unterprogramme selbst ‘speisen', Daten annehmen, ‘würdigen' und Entscheidungen treffen, die oftmals das Verständnis selbst der Person überschreiten, die sie geschaffen hat (vgl. Weizenbaum a.a.O., S. 308), konterkarieren diese Tendenz auf zynische Weise. Tatsächlich nämlich drückte dieser Schritt auf dem Wege einer Anthropomorphisierung, d.h. zunächst einer Selbstbewußtwerdung der Maschine, eine wahrhaft neurotische Form des Animismus, des Glaubens an die Beseeltheit aller Dinge, aus, sollte hier freiwillig und im blinden Vertrauen den Ergebnissen eines unverständlich gewordenen Programmes gefolgt werden. Zweifellos aber kann dieser Aspekt verdeutlichen, daß eine ‘Vermenschlichung der Maschine’ - in Anbetracht blinden Gehorsams und Vertrauens gegenüber der Maschine - zu einem Doppelprogramm gehört. Und Überlegungen - wie die von Weizenbaum zitierte -, den Menschen als "eine Turingmaschine mit nur zwei festen Rückkoppelungen, nämlich dem Bedürfnis zu spielen und zu gewinnen (anzusehen)" (vgl. Weizenbaum a.a.O., S. 315), zeigen welches mechanistische Menschenbild bestimmten Naturwissenschaftlern vorschwebt:

" ...eine Turingmaschine U ... (ist) (eigentlich eine ganze Klasse von Maschinen), deren Alphabet aus den beiden Symbolen ‘0’ und ‘1’ besteht, so daß bei einem beliebigen gegebenen Verfahren, das in einer präzisen und eindeutigen Weise festgehalten ist, und bei einer gegebenen Turingmaschine L, die die Transformationsregeln dieser Sprache verkörpert, die Turingmaschine U die Turingmaschine L in der Durchführung dieses Verfahrens imitieren kann." (Weizenbaum a.a.O., S. 920

III.

"Man kann die Naturwissenschaft als Droge betrachten, die süchtig macht", gibt Weizenbaum in seiner oben erwähnten Arbeit zu. Und Thomas S. Szasz schreibt in 'Das Ritual der Drogen': "Bis zum Vormarsch der Maschine waren die meisten Menschen gezwungen, den größten Teil ihres Lebens zu arbeiten, um zu überleben. Die meisten der wichtigsten das Verhalten beeinflussenden Drogen - insbesondere Marihuana, Opium und Kokain - wurden daher eingenommen, um besser, härter und länger arbeiten zu können. Diese Drogen waren für den prätechnologischen Menschen das, was die Maschinen für den technologischen Menschen sind: Sie halfen ihm, seine ‘Produktivität’ bzw. sein ‘Output’ zu steigern." (Wien 1978, S. 98) Herbert Marshal McLuhan geht in seinem Buch 'Krieg und Frieden im globalen Dorf' noch weiter. Zum Drogenkonsum der amerikanischen Elite schreibt er, daß es - insbesondere unter der Wirkung neuer chemischer Drogen (Methedrin) ('im Gegensatz zu organischen') leicht geschehe, daß Menschen sich einbilden, selbst Computer zu sein: "Ähnlich verhält es sich mit psychotischen Kindern, die sich früher mit Eichhörnchen und Katzen und anderen Tieren aus der Kinder-Tierwelt identifizierten und sich jetzt mit Autos und Fernsehgeräten identifizieren." (Düsseldorf/Wien 1971, S. 83) McLuhan glaubt, daß der Computer eine 'raffinierte Erweiterung des Zentralnervensystems' ist, die Menschen heute in einer Umwelt elektronischer Informationen leben, die, interpretierend gesagt, zu ihrem Selbst gehört, wenn auch als einem dissoziierenden, dem die ständigen technologischen Veränderungen und Erweiterungen, auf die es sich einzustellen hat, fortwährend neue Vermittlungsprobleme schaffen, die es nicht bewältigen kann, die ihm Identität, Selbstsicherheit usw. nehmen und eine ständige Entzugssituation schaffen und mit ihr Impulse ('Feedback Mechanismus des inneren Trips'), die dazu reizen und zwingen, 'sich aufpulvern zu lassen'. Wenn man so will, besteht demnach die Entropie, die Krise des modernen Bewußtseins in der Unfähigkeit der systemgerechten Integration eines an das eigene Selbst unmittelbar angeschlossenen, es entscheidend beeinflussenden, aber ihm keine adäquate Möglichkeit der Selbstbestimmung gewährenden Fremdzusammenhangs. Wie sich dem romantischen, durch Spaltungslust und -angst gekennzeichneten Doppelempfinden ein Doppelgänger bildet, der sich vom Ich vollkommen lösen, verschwinden und als gefährlicher Widersacher neu erscheinen kann, wird das Bewußtsein durch die elektronische Umgebung, die es selbst geschaffen hat, bedroht, erniedrigt, entwickelt es Gefühle der Nichtigkeit und Depressionen, denen es durch Drogen oder andere Medien entgehen möchte. Man könnte sagen, sagt McLuhan, "der Computer sei das LSD der Geschäftswelt, der Ihre Einstellung und ihre Ziele transformiert." (McLuhan a.a.O., S. 93) Und mit dieser Formulierung ist der thematische Zusammenhang dieses Textes angesprochen. Wie der Computer ist die Droge - und wohl nicht nur die synthetische - ein Mittel der Transformation, d.h. Element einer Anthropomorphisierung im weitesten Sinne, Katalysator eines bestimmten entropischen Rituals (oder auch Programms), das Geordnetes in eine völlig andere, nämlich ungeordnete, irrationale Form überführt, in der nun aber das Mittel selbst zum Subjekt, zum artifiziellen Ordnungsstifter avanciert. Ich will zum Abschluß versuchen, diesen Prozeß am Beispiel des ‘Drogenrituals’ zu verdeutlichen.

Die Drogenmißbrauchsideologie ordnet Drogen, Rauschgiftsüchtige und -händler einer Kategorie zu, läßt ohnehin Mensch und Mittel austauschbar werden, zu einer verfemten Identität verschmelzen, zum 'pharmakos' (nach Szasz ursprünglich 'Sündenbock', später 'Medizin, Droge, Gift'). In der Tat können Haschisch, LSD, Meskalin, Opium, Psilocybin u.a. Mittel dezentralisierende, Identität auflösende Rauschzustände hervorrufen, in denen dem Adepten - wenn nicht ganz ein anderes, so doch das Gefühl ganz Droge zu sein, suggeriert werden kann. Medium und Wirkung tauschen sich aus, das Mittel wird Objekt seiner Wirkung. Die Paradoxie dieses Zustands entspricht dem mit ihm initiierten Identitätsverlust, einer in archaischen Gesellschaften ritualisierten und kultivierten Form der Identitätsgewinnung und Reifwerdung. Als 'pharmakos' taucht das Individuum in die Sphäre des Paradigmas, wird es Beispiel für das Verströmen von Einheit, gewissermaßen Exempel der Entropie des in sich geschlossenen Bewußtseins. In dieser Sphäre ist der einzelne Negativfaktor eines dissoziierenden Prozesses, stellvertretendes Opfer für eine angestrebte Selbstbewußtwerdung, für ein neu assoziiertes Selbst.

Daß heute dieses - besonders von Jugendlichen, aber auch von zur ewigen Jugend verdammten, d.h. der Bewältigung von Problemen des Älterwerdens unfähigen Personen im Drogenrausch aufgebotene Selbstopfer Ausdruck eines Defizits gesellschaftlicher Förderung der Entwicklungsprozesse des einzelnen ist, Protest gegen eine zunehmende Vernachlässigung sinnvoller Kommunion und Integration, wie sie z.B. in den hohen Quoten jugendlicher Arbeitsloser überdeutlich wird, kann kaum abgeleugnet werden. Interessant und drastisch bleibt, wie dieser Ausdruck und Protest gesellschaftlich umgemünzt wird. Das freiwillige, gesellschaftskritische, an Atomisierung und Differenzierung der Perspektiven interessierte Engagement, existentialistisch bereit, auch die eigene Identität in Frage zu stellen, wird als Wirkung eines angeblich gesellschaftsfeindlichen Prinzips exkommuniziert und damit einer für notwendig erachteten Verfolgung zur Verfügung gestellt, die dieses Engagement zur Erhaltung von Werten wie Vernunft, Wohlstand und Sinn auszumerzen geplant ist. Dabei werden im Fall der Drogen von staatlicher Seite 'gesunde' Formen der Seinsweise von angeblich 'kranken' oder 'krankmachenden' abgegrenzt, fast immer auch mit dem Bewußtsein, daß das 'Kranke', auch 'Ungeordnete', 'Entropische' wert ist, beseitigt, weggeräumt, vernichtet zu werden. So enthält jede 'Heil' und 'Gesundheit' übermäßig hochstilisierende Anschauung implizite die entsprechend unmäßige Herabwürdigung und Verachtung des anderen, an diesen Idealen weniger oder gar nicht orientierten Denkens.

Die Gleichsetzung nun von Drogen, Rauschgiftsüchtigen und Computern zeigt, in welcher Form das archaische Ritual und Erlebnis modernistisch gewendet wird. Wurde mit der allmählichen Verfeinerung und Spezifizierung des archaischen Rituals versucht, eine Organisationsform herauszubilden, in deren Zentrum der Lebenszusammenhang von Pflanze, Tier, Mensch und Kosmos stand, so scheint sich in der Moderne - mit dem Bewußtsein der paradigmatischen Notwendigkeit von Negativem, Entropie als einer gefährlichen Wendung, zu verhütenden Katastrophe - tatsächlich durch die Instrumentalisierung des Denkens der Glaube an diese neuen technischen Ordnungskräfte, die also nicht die Lebenszusammenhänge organisieren, sondern mechanisieren, zu verfestigen. Dabei geht mit dieser idiosynkratischen Mechanisierung, die letztlich auf fatale Weise das bloße Mittel zum eigentlichen Subjekt erhebt, eine ‘Verteufelung’ der Entropie einher, die nicht nur einer Exkommunikation von bestimmten Charakteren, sondern auch von sinnstiftenden Prinzipien wie Utopie und Hoffnung gleichkommt.

Doch ich wollte einen Blick auf das Ritual der Drogen werfen. In einem gestellten Interview in dem Godard-Film 'One plus One' (1968) wird behauptet: "Drogen sind eine spirituelle Form des Spiels." Für die Interpretation archaischer Ekstasetechnik ist dies ein wichtiger Gedanke. Roger Caillois hat in seinem Buch 'Die Spiele und die Menschen. Maske und Rausch' über den Zusammenhang von Spiel, Verstellung und Rausch geschrieben. Er resümiert:

" ... jedesmal, wenn eine Hochkultur aus dem ursprünglichen Chaos auftaucht, stellt man eine merkliche Regression der Kräfte von Rausch und Verstellung fest. Sie finden sich alsdann ihres alten Übergewichts beraubt, an die Peripherie des öffentlichen Lebens gedrängt, auf immer bescheidenere und kurzfristigere, wenn nicht sogar verbotene und schuldbeladene Rollen reduziert, oder auch in die begrenzte und geregelte Domäne der Spiele und der Fiktion eingeengt, innerhalb derer sie dem Menschen die gleichen ewigen Befriedigungen gewahren, aber unterjocht und nur noch dazu dienend, seine Langeweile zu zerstreuen, ihn von seinen Mühen, diesmal ohne Wahnsinn und Delirium, ausruhen zu lassen." (München/Wien 1958, S. 110f)

Mehr oder weniger unbewußt zeichnete Caillois am Beispiel archaischer Mysterienkulte, des Voodoo und Schamanismus den Strukturplan der wissenschaftlichen Kontaminationen und ‘Konvulsionen’ in den letzten Jahrzehnten auf: "...der Sieg des Trugs: Die Vorstellung endet bei einer Besessenheit." (Caillois a.a.O., S. 98) Die Metamorphose zwischen einer Welt der Ordnung und einer des Chaos vollzieht sich im Stadium der Verstellung (nach Caillois mit dem Gebrauch der Maske). Mittel dieser Verstellung, die ich an anderer Stelle als Disposition des Sich-selbst-vorstellens im Akt der Selbsterfahrung dargestellt habe (vgl. meine Arbeit 'Der nützliche Idiot', Frankfurt/M. 1984, S. 29ff), ‘Katalysatoren’ der durch sie initiierten Ekstase, sind neben Trommelschlägen, Dampfbädern und Hypnose auch und besonders die Drogen. Mircea Eliade sieht sie in seiner Arbeit 'Schamanismus und archaische Ekstasetechnik' als 'vulgären' Ersatz für die 'reine' Trance, ihre Verwendung als Zeichen der Dekadenz schamanischer Technik. (Frankfurt/M. 1975, S. 382)

Hanf, Pilze, Alkohol usw. werden zur Schwächung und Überreizung des Körpers bis hin zur Veränderung der Sinneswahrnehmung, Verwirklichung von Halluzinationen, zu ekstatischem Losgelöstsein und magischem Flug (in die Ober- oder Unterwelt) eingesetzt. Der Mensch wird in einen Zustand der Selbstauflösung versetzt, der eine erneute Anthropomorphisierung, zumindest aber die Wiederherstellung einer geschwächten oder verlorenen Identität verlangt. Halluzinationen, Ekstase, ‘Erleuchtung’ usw. sind - wenn man so will und es nach den beschriebenen physikalischen Grundsätzen betrachtet - Entropiebeleg, d.h. also Beleg für den Wert an nicht mehr verfügbarer Energie oder aber: für den Wert einer Energieform, die sich naturwissenschaftlicher Bestimmung entzieht. Letztere - die Annahme einer der Entropie innewohnenden ‘Macht’ - löst nun eine aus dem spielerisch-absichtslos Spirituellen hervorgehende, sich ernstzunehmend und vollkommen intentional gerierende Tatsache heraus. Erinnert an den Preis einer durch Bergsons ,Elan vital' suspendierten Katastrophe, zeigt sich, daß die Angst vor einer der umfassenden Entropie gleichzusetzenden Apokalypse wie auch die Hypostasierung einer ihr vermeintlich innewohnenden Kraft oder rettenden Schicksalsmacht den Kanon der modern-wissenschaftlichen Mythenbildung entscheidend prägen. Die Tendenz dieser Angst angesichts möglicher Entropie und einer Hypostasierung der ihr möglicherweise innewohnenden Macht beweist eine Vergöttlichung der Mittel und der Funktionalisierung ihres spielerischen Gebrauchs. Aus dem ungezwungenen Spiel der Wiederholungen, ritualisierter Geburt, des erneuten Lebendigwerdens, ist ein anderes geworden, das der Herausbildung einer modernen, wissenschaftlichen Religiösität, eines ‘postmodernen’ Gottesglaubens. Daß in diesem nicht mehr verspielten Spiel bzw. vielmehr umfassenden Wettbewerb halluzinogene, Dissoziationen, Persönlichkeitskrisen, existentielle Verunsicherungen, Fragen und kollektive Antworten hervorrufende Mittel als Katalysatoren nicht mehr tauglich und gegenüber einer ständig erneuerten Leistungsanforderung antiquiert erscheinen müssen, ist schnell zu begreifen. Die modernen Drogen sind - wie die meisten modernen Therapien - auf Leistung ausgerichtet, im weitesten Sinn Funktionsmittel, die den Aufwärtsstrebenden mechanisieren, so daß er optimal mit der Maschine verschmelzen kann, die Vergöttlichung des Menschen und der Maschine ineins praktizierend.

Erinnere ich zum Abschluß an N. Söderbloms 'Das Werden des Gottesglaubens', so wird diese Tendenz einer Entstehung der Gottheiten aus einer Anthropomorphisierung und schließlich Vergöttlichung der Mittel leicht erkennbar. Söderblom schreibt:

"Die Signatur des Göttlichen ist die ‘Macht’. Machtgeladene Wesen und Gegenstände bezeichnen die Anfänge der Gottesidee. (...) In ähnlicher Weise wurde das Getränk, zumal das berauschende Getränk, das durch seine bedeutsamen Wirkungen den Gedanken an eine seltsame, übermenschliche, im Trank verborgene Kraft erweckte, zur Gottheit. Ebenso verwunderlich war, was die Werkzeuge und Waffen leisten konnten, sie wurden daher als mit Heiligkeitskraft geladen angesehen und rituell behandelt. Daraus sind dann Gottheiten entstanden." (Söderblom 1926, S. 90f)



Erschienen in: FOEDERA NATURAI, Klaus Heinrich zum 60. Geburtstag, herausgegeben von Hartmut Zinser, Friedrich Stentzler, Karl-Heinz Kohl, Königshausen & Neumann, Würzburg 1989, S. 226-235.

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