Willkommen!
Das Wappen der Familie Khammas

Agentur zur Personalisierung von Nutzer-Oberflächen

Mit diesem Beitrag bewarb ich mich vor einigen Jahren bei dem Multimediapreis-Wettbewerb DigiGlobe der Telekom und Focus. Was ein ziemlich inkompetenter Haufen sein muß, denn ich habe nie wieder etwas von meinem Beitrag gehört. Oder sie haben ihn unter der Hand verkauft und sind Ganoven...


Bei meinem Projekt handelt es sich um eine Agentur zur Konfiguration von personalisierten, interaktiven Nutzer-Oberflächen, die speziell für ältere Menschen gedacht sind.

Elektronisch gesteuerte Wohnungen und Häuser werden ja bereits angeboten, und in naher Zukunft wird diese Technologie umfassend zur Anwendung gelangen. Dabei bildet die Form der Interaktion zwischen Mensch und System eines der wichtigsten Kriterien, die über Erfolg und Mißerfolg entscheiden.

Das eingesetzte lernfähige Expertensystem bildet eine Mensch-Maschine Schnittstelle, die sich über verbalen Austausch steuern läßt (ein Tastatur-Input besteht optional).

Die Dienstleistung unseres Unternehmens besteht darin, gemeinsam mit dem Kunden und unter Hinzuziehung seiner persönlichen und medizinischen Daten, von Vorlieben und Interessen, besonderen Wünschen und Neigungen ein ‘Individual-Modul’ zu entwerfen und umzusetzen. Dieses Modul erzeugt dann die Oberfläche, die dem Anwender einen Zugang zu allen elektronischen Übermittlungsformen und Dienstleistungen eröffnet.

Die zu gründende Agentur übernimmt die Konfiguration und weitere Betreuung dieser Schnittstelle nach dem Motto:

Wir personalisieren IHRE elektronische Welt !


Viele ältere Menschen scheuen sich vor dem Eintritt in die moderne elektronisch vernetzte Welt. Meist gehen Ihre Argumente in die Richtung, daß die Technologie für sie viel zu kompliziert sei. Unser Projekt bietet hier eine leicht betretbare Brücke.


Das Projekt kann selbstverständlich von allen Nutzern elektronischer Medien nutzen - es ist aber speziell als technologisch-psychologische Brücke für ältere Menschen entwickelt worden.


Expertensysteme - Internet - Metacrawler - autonome Agenten - roomtronics u.a.


Selbsthilfegruppen älterer Menschen
Online-Gesundheitsberatungsdienste
t-nova (u.a. Kommunikationsunternehmen)
Internet-Portale


Ein Pilotprojekt soll in einem modernen Senioren-Wohnheim oder Alters-Ruhesitz umgesetzt werden. Im Zuge dieses Pilotprojektes findet auch eine endgültige Auswahl der zukünftigen Kooperationspartner statt. Anschließend soll das Vorab-Marketing mittels Pressemeldungen und Fachpräsentationen starten. Sobald sich im Laufe der kommenden Jahre die Hardware-Basis am Markt plaziert hat, wird die Nachfrage sprunghaft zunehmen (es ist auch an eine Software als Vertriebsprodukt gedacht, mit der sich User ähnliche, aber einfachere Oberflächen selbst zusammenstellen können).


Die ausführliche Beschreibung in Form eines Szenarios:


Der 83jährige betritt sein Appartement. Im Korridor hängt er die Jacke über einen Bügel.

Während er den Wohnraum betritt, geht automatisch der große Flachbildschirm an, der auf einer beweglichen, schmalen Konsole montiert ist. Ein freundliches Gesicht fragt: "Hallo Otto! Alles in Ordnung?"

[Ein Bewegungsmelder kann das System einschalten, oder das Türschloß. Fernsensoren überwachen die medizinischen Parameter, die gleichzeitig als Nachweis der Person eingesetzt werden können.]

Das Gesicht gehört einer virtuellen jungen Frau, ihr helles Kostüm erinnert an eine Kreuzung zwischen Stewardeß und Krankenschwester. Der Hintergrund ist in einem tiefen Meerblau gehalten. Manchmal ist so etwas wie Meeresrauschen zu hören, aber nur sehr leise.

[Ein Expertensystem in Verbindung mit einem Dialog-Modul und verschiedenen Plug-Ins kann zentral je nach Leistungsfähigkeit einige zehn bis einige hundert dieser individualisierten Oberflächen bedienen.]

Otto ächzt, er läßt sich erschöpft in seinen Lieblingssessel sinken.

"Du hast zwei Anrufe bekommen, außerdem hat sich Dr. März gemeldet, er würde sich gerne nächste Woche mit Dir unterhalten" - die Stimme wartet geduldig auf eine Antwort.
"Wer hat angerufen?"
"Soll ich es Dir vorspielen? Ich habe beide Anrufe aufgezeichnet."
"Nein-nein, nicht jetzt. Sage mir nur, wer es war."
"Der eine Anruf kam von Deiner Tochter Marlies, die andere Person ist mir leider nicht bekannt - es ist ein Mann, und er hat auch keinen mir bekannten Namen genannt."

Otto horcht auf. Inzwischen hat er sich auch schon wieder etwas erholt. Schließlich hält er noch immer den täglichen einstündigen Marsch durch - quer über das gesamte Gelände, die Einkaufsstraße hoch, dann das Ufer entlang und hinter dem kleinen Flußhafen wieder zurück in den Appartement-Block, in dem er seit acht Jahren seine Wohnung hat.

[Das System baut auf den Nachfolgern von Lisa auf, dem ersten dialogfähigen System. Moderne Systeme können eine ziemlich wirklichkeitsnahe Persönlichkeit simulieren.]

"Spiel mir bitte den zweiten Anruf vor."

Zu spät merkt er, daß er schon wieder ‘bitte’ gesagt hat, dabei redet er schließlich nur mit einer Maschine, auch wenn diese so ein freundliches und hübsches Gesicht hat. Aber im Laufe der Jahre, in denen er sich immer mehr auf die Dienste eben dieser Maschine verlassen hat, bröckelt seine Abwehr.

Eigentlich war es nur seine sprichwörtliche Dickköpfigkeit, die ihn gleich zu Anfang hat sagen lassen, daß diese komische VR-Hostess ruhig zum Teufel gehen könne - er würde sich nie auf solch eine kindische Sache einlassen. Inzwischen hatte er sich schon so an ihre unaufdringliche Präsenz gewöhnt, daß er sie kaum mehr missen will - auch wenn er das offiziell niemandem gegenüber eingestanden hätte.

[Die Konfiguration der virtuellen Oberfläche (oder ‘Persona’) erfolgt in Zusammenarbeit mit dem Kunden. Otto hat sich Aussehen und primäre Persönlichkeitsmerkmale selber zusammenstellen können.]

Jetzt hatte er doch wirklich den Anfang verpaßt, und die Stimme sagt auch ihm nichts. Langsam bemerkt er aber, um was es hier geht. Der Anrufer will Otto etwas verkaufen - und daran hat dieser nicht das geringste Interesse.
"Löschen!" befiehlt er knapp.
"Soll ich diesen Anruf löschen?" vergewissert sich das System.
"Ja, der Kerl will mir was andrehen. Wenn er sich noch mal melden sollte, kannst Du seinen Anruf gleich an die Beschwerde-Stelle weiterleiten... sollen die sich mit ihm befassen!"

[Es sind eine ganze Reihe von aktiven und passiven Schutzroutinen eingebaut, die ebenfalls den Wünschen ihrer Nutzer entsprechend konfiguriert werden können.]

Irgendwie war diese ganze Elektronik ja doch zu was nütze. In seinen jungen Jahren war er Funker auf einem Obstfrachter gewesen, damals war das ‘high-tech’

, und alle haben ihn bewundert, wenn er von seinen Geräten und den Funksprüchen quer über den Erdball geredet hat. Heutzutage kann das im Prinzip jedes Kind per Internet. Aber einfach dem Anrufbeantworter so eine Anweisung zu geben und sicher zu sein, daß er sie auch haargenau so ausführen würde... manchmal grenzt das schon an Zauberei!

Immerhin würde das System die Stimmprobe des unbekannten Anrufers bei jedem weiteren, nicht vorab identifizierten Anruf, zum Vergleich heranziehen, und wehe, es paßte. Dann würde sich eine virtuelle Stimme als Otto ausgeben, und den Anrufer um sein Angebot bitten - und ihn gleichzeitig an einen von realen Personen besetzten Counter weiterleiten. Dort würde man überprüfen, ob es sich der Anrufer unlauterer Vertriebs-Methoden bedient und ihm auf jeden Fall den ausdrücklichen Wunsch Ottos, nicht weiter behelligt zu werden, in juristisch akkurater Formulierung kundtun.

"Otto, ich glaube, Du hast Dir Deine Schuhe noch nicht ausgezogen. Dabei hast Du gestern selber zugegeben, daß Du dich ohne sie hier in der Wohnung viel wohler fühlst."
"Ja-ja, Du bist schlimmer als meine seelige Mathilde... ich mach’ ja schon."

[Die berührungslose Meßtechnik hat dem System die Temperatur der Füße und andere Parameter mitgeteilt, welche es zu diesem (richtigen) Schluß gelangen lassen.]

Er wurde aber auch wirklich von Tag zu Tag vergeßlicher. Früher hatte er sich noch einen Wecker stellen müssen, der ihn an die regelmäßig einzunehmenden Medikamente erinnern sollte. Darum brauchte er sich heute nicht mehr sorgen. Das System besaß alle medizinischen Informationen über ihn, es erinnerte ihn an die Medikationen und an die Arzttermine, es verwaltete sein Adreßbuch und wählte die Nummern für ihn, es kontrollierte seine Finanzen und ... ja, schließlich hatte er sich doch dazu durchgerungen: Es tippte sogar für ihn beim Lotto. Zwar hielt es sich weitgehend an seine Lieblingszahlen, doch zwei Tips pro Woche entstammten dem systemeigenen Zufallsgenerator. Und wie hat er letztlich gestaunt, als er einen Vierer gewonnen hat - mit der Kombination aus der Maschine!

[Das System ist mit diversen weiteren Dienstleistungsanbietern verbunden. Virtuelle Moderatoren simulieren zyklisch Interesse an den Erfahrungen der Zielperson, Animatoren präsentieren verwandte Gebiete. Das System kontrolliert den Eingang der Rente, der Zinsen von Papieren usw. ebenso wie den Abzug der Miete etc.]

"Willst Du nicht den Anruf Deiner Tochter hören?"
"Ah... hatte ich schon wieder vergessen. Ja, spiel ab...."
Die Stimme von Marlies füllt den Raum und erwärmt sein Herz. Seine einzige Tochter hat ihm schon zwei Enkelkinder geschenkt, deren Fotos immer auf seinem Nachttisch standen.

"Wir haben uns überlegt, Dich am Freitag abzuholen. Am Sonntag Abend oder Montag früh würde ich Dich dann wieder zurückbringen. Was hältst Du davon? Die Kinder würden sich riesig freuen... also, gib uns schnell Bescheid, ja?!"

Otto zögert etwas und befiehlt erst einmal den aktuellen Wetterbericht und die Prognosen der nächsten Tage auf den Schirm. Das freundliche Gesicht grinst und ermutigt ihn.

Also ruft Otto seine Termine ab; oh ja, er muß den Skat-Abend verschieben. Sicherheitshalber sagt er es laut, so daß ihn das System später noch mal daran erinnern kann (oder sollen wir statt System nicht endlich ‘Michaela’ sagen? - denn so hieß die erste große Liebe Ottos, und entsprechend dieser Erinnerung hat er sich ja auch das ‘Gesicht’ auf seinem Bildschirm zusammenstellen lassen).

[Das System kann die Terminkalender verwalten und miteinander koordinieren. Verwaltungsdienstleistungen und medizinische Dienste können damit auch optimal ausgenutzt werden].

Im Laufe des Nachmittags bekommt Otto aber noch mehr zu tun.

Die vierte Schulklasse meldet sich wieder, denen er vor einigen Wochen einen Vortrag über seine Funker-Zeit gehalten hat. Begeistert hatten sie seinen Erzählungen gelauscht, obwohl sie sich gegenseitig nur auf dem Bildschirm, gesehen haben. Aber vielleicht wirkte das bei diesen Kindern sogar besonders authentisch? Und jetzt fragen sie plötzlich nach der Gefahr von Funkwellen. Als ob er darüber auch nur das geringste wüßte.

Trotzdem gibt er ‘Michaela’ die Anweisung, ihn Online zu schalten. Er muß wieder grinsen, denn vor einigen Jahren hatte er sich noch mit Händen und Füßen dagegen gesträubt, solche komischen, modernen Worte auch nur wahrzunehmen... und inzwischen? Auch er war jetzt eine Art Weltbürger. Immerhin war die Schulklasse aus Österreich, kein Wunder also, daß sich die Kinder das Meer besonders abenteuerlich ausmalen.

Der Lehrer hatte einen breiten steierischen Dialekt, war aber ansonsten sehr freundlich und außerdem äußerst aktiv dabei, Wissensschätze zu heben und seinen Schülern zu vermitteln. In Otto hatte er einen solchen Schatz gefunden - und gehoben. Daß Otto über Elektrosmog nichts weiß, ist kein Probleme. Nach kurzer Recherche kontaktieren sie einen Leutnant der Bundeswehr, der Krebs hat und einen Prozeß führt, weil er früher starken Radarstrahlungen ausgesetzt war. Sein Gutachter hätte dafür plädiert. Die Kinder sind zwar etwas überfordert, nichts desto weniger aber weiterhin sehr interessiert.

Man verabredet sich zu einem Video-Chat.

[Bei Fragen usw. können 70 - 80 % aller Sachen über die VR-Schnittstelle laufen, alles weitere wird vom mit echten Menschen besetzten Call-Center oder die RL-Betreuung des Appartement-Blocks bearbeitet].

Otto denkt sich, daß das Radar ja nun auch viel stärker ist als ein Funksender - und daß dort die Antenne auch viel näher dran am Menschen ist, als beim Schiff. Trotzdem läßt er sich am Abend von Michaela einige einschlägige Artikel besorgen, in die er sich dann noch einige Stunden vertieft.

[Das System ist selbstverständlich in der Lage, über das Internet alle dort angesiedelten Informationen und Dienste anzubieten. Es besitzt ferner eine eigene Meta-Suchmaschine und steuert außerdem verschiedene elektronische Agenten, um in den Interessenbereichen seiner Kunden stets auf dem Laufenden zu sein].

Doch erst einmal bekommt Otto Hunger. Auf Nachfrage sagt ihm Michaela, was im Eisschrank ist, und was er sich selbst schnell machen kann. Sie sagt aber auch, was es in der Küche gibt (die eigentlich Hausrestaurant heißt), und das klingt auf jeden Fall viel verlockender.

Nun läßt er nach seinem Freund Manfred suchen, doch der ist noch einkaufen. Otto hinterläßt eine Nachricht (Manfreds Gesicht ist das einen Schwarzen, in Erinnerung an seine Zeit bei der Fremdenlegion), und als er zurückgerufen wird, verabreden sich beide und gehen zusammen zum Essen.

Am Abend schaut sich Otto zuerst die von Michaela beschafften Artikel zum Thema E-Smog an, dann zappt er weltweit etwas im Internet-TV herum. Heute sind dort ja wirklich alle Radio- und TV-Sender zu finden - in exzellenter Qualität und (auf Wunsch) mit automatischen Übersetzungssystemen gekoppelt, die manchmal allerdings den verrücktesten Mist zusammenbrauen. Otto ist inzwischen Fan von Nepal-TV, die Musik der Mönche berührt etwas in ihm, das er bislang noch nicht genau identifizieren konnte. Er wird doch auf seine alten Tage nicht noch Buddhist werden??

[Das System kann alle Sparteninteressen optimal bedienen. Sportergebnisse können als Zusammenschnitte präsentiert werden, eine umfangreiche Video-on-demand Bibliothek ist ebenfalls im Angebot.]

Otto wird müde, er bestellt sich noch den Film ‘Das Wirtshaus im Spessart’ mit Lieselotte Pulver, in die er damals arg verknallt war, und schläft mittendrin ein.

Das System empfängt seine Daten, merkt den Schlaf, stoppt den Fernseher und weckt ihn auf, bevor er die REM-Phase erreicht.

Otto zieht sich aus und geht zu Bett. Das System wacht.

Anm.: Falls Otto ‘richtige’ Probleme hat, wird ihn die VR-Lady auf eine RL-Schwester verweisen. Das System ist aber auch in der Lage, bei Bedarf selbständig und sofort einen Pfleger, einen Arzt oder gar Rettungswagen zu rufen.



© 1998 Achmed A.W. Khammas

 

Anmerkung:

Mitte 2009 berichtet die Presse über das Natal Projekt von Microsoft, an dem das Unternehmen bereits seit mehreren Jahren intensiv arbeiten soll. Ziel ist eine neue, intelligente Interface-Technologie, die allerdings primär auf den Spielemarkt abzielt.

 

Milo, der kleine ‚echte’ Avatar, schaut seinem Außenwelt-Partner tatsächlich ins Gesicht, und dieser wiederum kann in Milos Gesicht und an seinen Verhaltensweisen erkennen, wie er auf ihn selbst und die übrige Außenwelt reagiert. Immerhin – ein bescheidener Anfang.

Milo Avatar

 

Übrigens habe ich das obige Szenario an eine entsprechende EU-Initiative geschickt, die sich schwerpunktmäßig altengerecht mit diesem Thema beschäftigt... und bekam sogar einen sehr interessierten Anruf daraufhin. Mehr ist allerdings nicht passiert.

Bis zum 01.01.2012 - denn an diesem Tag wurde auf Telepolis das obige Konzept in Form einer SF-Kurzgeschichte unter dem Titel Michaela wacht veröffentlicht.



© 2007 - 2015 Achmed Khammas
design by .tpg