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Der Assuan-Damm

Bei diesem sehr interessanten Text handelt es sich um das Szenario eines Filmes, den ein - inzwischen leider schon verstorbener - Freund aus Ägypten, Abd-el-Uahed Askar, über die dramatischen Auswirkungen des Assuan-Dammes gedreht hat.

Dieser Film wurde unter einem anderen Namen mehrfach im Fernsehen gezeigt, allerdings meist sehr spät und in den 3. Programmen - vielleicht weil er von einer meditativen Ruhe und Länge ist. Mich selbst hat in erster Linie die Schilderung des Jahrtausende alten Kreislaufs der Nilfluten beeindruckt - und die extremen Wirkungen durch dieZerstörung dieses Kreislaufes.




Der Assuan-Damm

Arbeitstitel eines Filmes von Abd-el-Uahed Askar über die ökologischen und sozialen Nachwirkungen des Assuan-Staudammes am Nil in Südägypten.

Übersetzung von Achmed Khammas



Altes Gebet aus dem Ägyptischen Totenbuch:


Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen,
und ich habe kein Tier mißhandelt!
Ich habe nichts ‘krummes’ an Stelle von Recht getan.
.....
.....
Ich habe das Überschwemmungswasser nicht
zurückgehalten in seiner Jahreszeit,
ich habe dem fließenden Wasser keinen Damm
entgegengestellt, und ich habe das Feuer
nicht ausgelöscht, wenn es brennen sollte.


Anm.: Das älteste gefundene Exemplar des Ägyptischen Totenbuches geht auf etwa 2000 v.Chr. zurück. In diesem Gebet spiegeln sich die damaligen Hauptsünden wieder, die ein Ägypter begehen konnte.


Der Naturkreislauf vor dem Dammbau

Mit Beginn des Sommers erwarten die Bauern das lehmige Überschwemmungswasser, das unter ihnen ‘rotes Wasser’ genannt wird.

Es gibt zu jener Zeit zwei Arten von Land, das eine ist mit Obstbäumen aller Art bepflanzt, da die Bauern daran glauben, daß das rote Wasser Süße bringt, und das andere Land ist jenes, das durch die vorjährige Ernte ermüdet wurde.

Diese abgeernteten Baumwollfelder und jene Erntegebiete, die dem Boden viele Mineralstoffe entzogen haben, bleiben etwa zwei Monate unter der Glut der heißen Sommersonne, bis sie austrocknen und sich die Risse einem Meter und mehr hineinstrecken. Die Erde wird dadurch belüftet und die Sonnenstrahlen reichen so tief hinein, daß sogar Insekten und deren Eier absterben.

Erst dann wird diese Erde mit dem 'roten Wasser' überflutet und der Nilschlamm kann all diese Risse füllen. Die Erde vermischt sich mit neuem Blut, dem Blut des Gottes Osiris, des alten Gottes der Fruchtbarkeit.

Nun kommen die Vögel - wie auch der heilige Ibis - und fressen die restlichen Würmer und Insekten und reinigen damit die Erde.

Die Bauern sitzen an den Rändern der Felder, betrachten den einmaligen Anblick, wie die Erde gereinigt wird, und genießen den Lärm der sich um die reichhaltige Beute streitenden Vögel.

Nun warten die Bauern, bis die Erde trocknet.

Eine Schicht von feinem Schlamm bedeckt sie, welcher auch die tiefen Risse gefüllt hat. Das Land ist nun rein wie ein neugeborenes Kind.

Der Boden wird gepflügt, das alte und das neue vermischen sich, und ein Teil dieser Erde wird abgetragen, damit das Bewässerungswasser aus den Nebenkanälen leicht auf die Felder fließen kann.

Die abgetragene Erde wird in der Mitte des Feldes zu einem kleinen Hügel zusammengeschüttet, den der Bauer für Pflanzen nutzt, die viel Fläche benötigen, wie Kürbisse, Melonen und Gurken. Auch nimmt er von dem Hügel sein Baumaterial und in der Hauptsache trockene Erde für den Stall, in welchem der heilige Skarabäus seinen Beitrag dazu leistet, aus dieser Erde und dem Mist guten Dünger zu machen.

Der im letzten Jahr hergestellte Dünger wird auf die Felder verteilt, sie werden gepflügt und neu bepflanzt.

Es gibt allerdings auch Überschwemmungsland, das nur dieses eine Mal bewässert wird und auf welchem Bohnen, Sesam, Lein u.a.m. gepflanzt werden, um Öl, Fasern und Futter zu bekommen.

Dieses ist einer der Kreisläufe, die der ägyptische Bauer zusammen mit seinem Fluß von Anbeginn der Geschichte an gewohnt war. Er bildete mit ihm eine Einheit und befand sich in Harmonie mit seiner Umwelt, und nicht in einem - der griechischen Ideologie ähnlichen - Kampf, in welchem sich zwei Dinge gegenüberstehen, und eines davon Opfer, das andere Sieger sein muß.

Diesen Konflikt hat der Bauer seit langem schon gelöst. Das 'Böse' und das 'Gute' sind eine Einheit, der fruchtbarkeitsbringende Nil brachte auch die Bedrohung und den Tod, Osiris ist der Gott der Fruchtbarkeit UND der Gott des Todes.

Diese Einheit führte zur Isolation der dörflichen Gesellschaft mit ihren positiven und negativen Ergebnissen. Gut war daran, daß dadurch keine ausländische Ausbeutung erfolgen konnte, außer in den Zeiten größter Unterdrückung oder während Besatzungszeiten. Das ägyptische Dorf war daher vom internationalen Markt und dem langweiligen Spiel der Börse unabhängig. Aus der Ernte füllte der Bauer seine Speicher für Menschen und Tiere für ein Jahr und erfüllte auch seine Verpflichtungen im Dorf gegenüber Medizinmann, Fährmann, Moschee- oder Kirchendiener, entlohnte Musikanten, Friedhofswärter und Landarbeiter, die ihm das Jahr über geholfen hatten. Er bezahlte Maurer und Korbmacher, Seiler und Mattenflechter und alle anderen, gab Spenden und Almosen für die Armen.

Geld wurde dagegen erst bekannt, als im 18. Jh. die Arbeitskraft verkauft werden konnte. Trotzdem blieb dieses Tauschsystem bis heute parallel dazu bestehen und gültig - obwohl es nun zu zerbröckeln beginnt.


Der Staudamm

Ägypten hat sich wie alle Länder der 3. Welt vom Kolonialismus befreit und strebt als Lösung der von diesem hinterlassenen Probleme sowie der schrecklichen Zukunftsprobleme (Bevölkerung, Nahrung usw.) eine moderne industrielle Lösung an. Industrie aber braucht Energie.

Der Deich- und Dammbau war in Altägypten bereits in Blüte. Diese lokale Technologie hatte sich über Jahrtausende hinweg entwickelt, und es gab große Dämme zum Regeln und zur Verteilung des Nilwassers. Das wichtigste Prinzip dieser Dämme war jedoch, daß sie während der Überschwemmungszeit dem Wasser erlaubten hindurchzufließen, um so die Felder in unbeeinflusstem schlammhaltigen Zustand zu erreichen.

Mit dieser Technologie erreichte Ägypten eine Speicherung von 60% des Überschwemmungswassers, nur 40% flossen weiter ins Mittelmeer.

Man hat diese 40% immer als Verlust betrachtet, aber sie haben das Flußbecken gesäubert, sei es von den Abfällen der Menschen oder von den überzähligen Ufertieren wie Ratten, Bilharziosis-Schnecken, Schlangen usw. Dieses Wasser zog daher sowohl viele Vögel an, als auch an der Küste viele Fische, die in dem Nilwasser reichlich Nahrung fanden - wodurch eine ganze Fischindustrie entstehen konnte.

Die große Wasserfläche befeuchtete das trockene Klima und ermöglichte den Anbau von Feingemüse. Das schlammhaltige Wasser reichte für alle Felder bis hin zum Norden, zum Delta. Wichtig war auch, daß es dem in das Grundwasser hineinströmenden salzigen Meerwasser entgegendrückte und das Grundwasser dadurch salzfrei blieb.

Hätten sich alle Länder, durch die der Nil fließt, gemeinsam abgesprochen, so wäre es möglich gewesen, die 'Verlustrate' auf 20% zu senken, was auch ausgereicht hätte, die oben genannten wesentlichen Funktionen zu erfüllen.

Die Feindschaften, die der Kolonialismus in Afrika hinterlassen hat, die Streitigkeiten um Grenzen, Religionen und anderes haben dies aber verhindert, und Ägypten wurde in der Geschichte mehrmals mit Wasserentzug oder -ableitung bedroht. Es wurde daher entschieden, den Staudamm im eigenen Land zu bauen. Das Resultat dieses Beschlusses: Die Suez-Krise von 1956 und die daraufhin erfolgte Bereitschaftserklärung der UdSSR, dieses gigantische technische Projekt in Afrika zu verwirklichen.

Damit war das Problem zu einem politischen geworden und betraf mehr als nur den Damm, der dem Land dienen konnte. Die UdSSR wollte im Nahen Osten Fuß fassen und half ohne Bedingungen mit ihrer Wissenschaft und Technik. Aber die russische Wissenschaft ist auch aus okzidentaler Mentalität entwickelt, und die praktischen Erfahrungen des russischen Wissenschaftlers beim Dammbau betrafen nur klare Schmelzwasser- und keine 'roten' Lehmwasserflüsse.

Der russische Bauer war von seinen Flüssen nie so abhängig, wie er es vom Regen war, und die einfache Weisheit, daß Ägypten ein Geschenk des Nils ist, wurde übersehen.

Die weiße, westliche Wissenschaft hat das 'Blut des Gottes' hinter den Damm verbannt, den Fluß erstickt und den Bauern nur noch die 'Pisse des Gottes' übriggelassen - wie sie sich selbst ausdrücken.

Der Sündenfall ist eingetreten und die Hölle war los!

Die Mißnutzung der Wissenschaft begann, das Gleiche, worunter auch die industrialisierten Länder leiden: Krebs, Umweltverschmutzung, radioaktive Strahlung, der enorme Anstieg beim Konsum von Pillen zum Beruhigen, Schlafen und Aufputschen - der Preis für das, was man Zivilisation nennt.

- Das erst nach 500 Jahren erwartete Verschlammen des Stausees erfolgte bereits in den letzten 10 Jahren.
- Dadurch werden die Turbinen und Turbinenschächte behindert, sie verstopfen schnell, und es fehlt an den technischen Geräten, dies zu verhindern.
- Im Vergleich zu den ursprünglichen Schätzungen wurde nur eine 20%ige Effizienz bei der Elektrizitätserzeugung erreicht.
- Aus Gründen des schnellen Regierungswechsels in den Ländern der 3. Welt sowie auch wegen der trägen Bürokratie schaffte es Ägypten nicht, die (im Anschluß an das Dammprojekt ursprünglich geplanten) Industrie- und Agrarpläne zeitgerecht zu verwirklichen.
- Die Elektrifizierung der ägyptischen Dörfer brachte auch die ausbeuterische Konsumgesellschaft mit sich und nützte daher (fast) nur der lokalen Bourgeoisie.
- Das Fernsehen kam und lähmte die Hände und das Denken der Bevölkerung.
- Der Naturkreislauf wurde gestört, die Ernten schwächer, das Abtragen der Felder wurde verboten. Der Mangel an Schlamm betraf das Baumaterial, die Töpferei und die im Stall notwendige Erde, die nun vom Deich geklaut wird.
- Die Landflucht wurde ungeheuer beschleunigt, den Vögeln und Fischen fehlte die Nahrung, eine Verarmung im nördlichen Fischfanggebiet war die Folge.
- Pflanzenschädlinge wie Insekten vermehrten sich rasend, chemische Pflanzenschutzmittel wurden erforderlich, ebenso chemische Düngemittel, womit eine Abhängigkeit vom internationalen Markt und auch dem inländischen Schwarzmarkt erfolgte.
- Die Gifte töteten aber auch die nützlichen Tiere wie Bienen, Vögel, Katzen usw., wohingegen die (z.T. mutierte) Rattenvermehrung eine landesweite Epidemie bedeutete. Die Ratten, die früher in den Deichen lebten und regelmäßig dezimiert wurden, überrennen nun die Dörfer, vernichten Ernten und töteten in vielen Fällen auf ihrer Nahrungssuche sogar schon Babys. Großer volkswirtschaftlicher Schaden entsteht nun auch noch durch den Aufwand, der zur Bekämpfung dieser Plage notwendigerweise erbracht werden muß.
- Die Bilharziosis-Schnecken vermehren sich stark in dem jetzt nur leicht bewegten Wasser und helfen bei der Übertragung der Krankheit auf den Menschen, was ebenfalls große volkswirtschaftliche Verluste mit sich bringt.
- Der große Stausee zog die Regenwolken vom Indischen Ozean an und bisher nie dagewesene Himmelsfluten schädigen die Dörfer, indem sie die Häuser aus getrocknetem Lehm einfach wegspülen.
- Das Salzwasser des Mittelmeeres sickert unterirdisch immer weiter ins Land hinein, inzwischen schon bis zu 150 km weit südlich des Deltas.
- Es besteht ferner die Notwendigkeit, ein landesweites Abwassersystem zu bauen, was mit hohen Kosten, Korruption sowie einem nicht unwesentlichen Flächenbedarf verbunden ist.
- Das jetzt klare Nilwasser hat eine hohe Erosionswirkung und bedroht damit Brücken und Deiche.

Alle diese resultierenden Widersprüche zum Naturkreislauf führen die ägyptische Gesellschaft zu einer neuen Art von Auseinandersetzungen.


Synopsis

Das Ziel dieses Films ist es, diese Auseinandersetzungen zu schildern und alle daraus folgenden Minderungen in der sozialen, ökologischen und sogar kulturellen Struktur Ägyptens, damit ein - möglichst weltweiter - Aufruf zu hören ist, um die drohende Katastrophe abzuwenden, die sonst das Land in wenigen Jahren zu einem weiteren Hungerland Afrikas machen würde.

Die Filmform ist dokumentarisch mit Feature-Elementen aus dem täglichen Geschehen und Erleben der Betroffenen, wie z.B. der Streit eines Nachbarn mit seiner Frau, der die gesamte Nachbarschaft zusammenlaufen läßt, wobei es darum geht, daß sich der Mann mit dem Goldschmuck der Frau einen Fernseher kaufen will.

Dies wäre sowohl eine (mögliche) Einleitung in das Thema 'Elektrifizierung', als auch in ein wirtschaftliches Thema, das sich in etwa so ausdrücken läßt: Das Gold geht ins Ausland (ITT, Toshiba...), und dafür kommt Blech mit kurzer Lebensdauer ins Land hinein. Damit wird wiederum die Inflation angeheizt.

Das ökologische Problem kann damit eingeleitet werden, daß eine Dorfbewohnerin schreiend mit ihrem blutenden Neugeborenen auf die Straße rennt und ruft, "die Ratten haben mein Kind angefressen".

Der Film versucht auch zu zeigen, wie die Ideologie und Kultur der 3.-Welt-Länder durch die westliche Kultur unterdrückt wird. Daher werden wir auch die geschichtliche Rolle des Nils untersuchen und seine mythologische Bedeutung als Gott sowie die Natur der Beziehung zwischen Fluß und Mensch.



Anm.d.Ü.: Zusätzlich zu den oben genannten Negativfolgen hat sich im Laufe der Jahre eine regelrechte Wasserhyazinthen-Plage auf dem Stausee ausgebreitet, und es gibt den Verdacht, daß das Gewicht des gestauten Wassers für kleinere Erdbeben verantwortlich ist.

Dazu fand ich ein nettes Zitat von Prof. Dr.-Ing. Fritz Mohr, in den 1960er Jahren Gutachter beim Assuan-Projekt: "Fill a lake, and make a quake." (Leserbief von Marianne Krahe im Focus Nr. 25/1996)

Mehr über den Assuan-Staudamm sowie über Staudämme allgemein steht im Buch der Synergie im Kapitel Wasserenergie/Staudamm


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